„Zurück in die Stadt" nannte Katja Meirowsky ihre Kohlezeichnungen. Dunkle Mahnungen an die Vernichtung der Juden. Von 1942 bis 1945 überlebten Katja, die jüdisch-stämmige Mutter und ihr Vater versteckt in zwei Zimmerchen ohne Wasser und Strom auf einem Bauernhof im „Warthegau“, im Auge des Orkans, zur Zeit der „Endlösung“.

Untergetaucht, und doch postalisch zu erreichen in Libau, im Bezirk Gnesen – während Mitglieder der SS und des SD akribisch nach Juden suchten, um sie vor Ort zu erschießen oder in die Vernichtungslager zu schicken. „Zurück in die Stadt“, das ist Hoffnung, Neuanfang, Aufbruch. Meirowsky (1920-2012) hat häufig großformatig gearbeitet, abstrakt, anknüpfend an die Moderne der Vorkriegszeit. Und im Überschwang der Farb- und Formgefühle wie bei „Das große Atelier“ von 1949, in Öl auf Leinwand, mit 100 mal 80 Zentimetern an Leuchtkraft und Weite.

Einer ihrer Weggefährten, der Maler und Lyriker Werner Heldt, hob 1951 zu ihrer ersten Einzelausstellung in der Galerie Bremer am Südwestkorso das Spirituelle, ihre Traumwelten hervor: „Ihr Kolorit, wie das Chagall’s, nächtlich und von kühler Transparenz, verrät ihre Herkunft aus phantastisch-dämonischen Regionen des Ostens. Dies und eine starke lyrische Veranlagung bieten Gewähr, dass Gefahr des Klassizismus nicht besteht. Katja Meirowsky ist noch jung. Ihr Weg, wie man hört, wird sie nun bald nach Paris und nach Übersee führen.“

Katja Casella mit Mädchennamen, ein hyperaktives, waches Schneewittchen mit kohlschwarzen Augen und glatten, langen schwarzen Haaren. Sie war hochbegabt, das erkannten sie an ihr bei der Eingangsprüfung 1940: die nationalsozialistisch Gesinnten der Malereiklasse, in der Staatlichen Hochschule für bildende Künste, Berlin, unter Kuratel von Max Kutschmann, Fachleiter Kultur im SS-Rassen- und Siedlungshauptamt.

Katja Casella ist ein Freigeist, eine, die sich von nichts und niemandem etwas sagen lassen will. Schon gar nicht im nationalsozialistischen Deutschland. Sie näht sich ein Kleid aus dem Rot einer Hakenkreuzfahne. Sie ist gegen die Nationalsozialisten, und sie will, 1941 als 21-Jährige, endlich auch etwas tun. Später erzählte sie in einem Interview: „Eine junge Frau beobachtete mich in der Kunsthochschule. Und dann sagte sie: ‚Ja, ich habe eine Keramik-Werkstatt. Die haben ja unsere Männer alle eingezogen.’ Und wie sie das sagte, da merkte ich: Die ist auf meiner Linie. Wie man so etwas sagte, spielte bereits eine Rolle.“

Die Keramik-Künstlerin ist Cato Bontjes van Beek, eine 1943 hingerichtete Widerstandskämpferin. „Als Sie die Halle betraten, schien mir, es kommt die Revolution persönlich“, sagte Cato bei der ersten Begegnung. „Haben Sie keine Angst, mit so einem Fahnenkleid?“ Worauf Katja entgegnete: „Wovor sollte ich Angst haben? Die Chuzpe traut keiner dem anderen zu.“

Katja versteckt Flüchtende in ihrem Atelier, ist an der Verteilung von Flugblättern beteiligt. Sie wird wie Cato Teil einer Widerstandsgruppe mitten in Berlin, die schon in den frühen Dreißigern gegen die herrschende Politik agierte. Die Nazis tauften die über hundert Aktiven aus allen Gesellschaftsklassen Rote Kapelle: Der Mythos eines von Moskau gesteuerten, über Europa verteilten Spionage-Netzes hielt sich bis in die Nachwendezeit.

Katja wartet. Auf das Ende des Krieges. Auf dass ihr Karl, endlich wieder nach Deutschland zurückkehren kann. Seine Mutter Elsbeth und Schwester Evelin werden am 2. April1942 deportiert und im Warschauer Ghetto ermordet.

Kurz nachdem Katja voller Entsetzen vor der versiegelten Wohnung der Meirowskys in der Seesener Straße 18 in Berlin-Halensee stand, stellt Cato sie Harro Schulze-Boysen, dem Kopf der Roten Kapelle vor: „Dieser große schlanke Mensch, der da den Raum betrat, das war nun der Boss der Gruppe – in Uniform! Es hieß immer, je weniger wir voneinander wissen, umso besser, falls die Gestapo kommt. Der hat mich in die Arme genommen. Da kam so eine Wärme von diesem Menschen. Harro sagte zu mir: ‚Und weil es so ist und weil so viel Unheil passiert, dafür sind wir da. Wir können das bremsen. Wir versuchen und hoffen, dass es uns gelingt, etwas gegen dieses Barbarentum zu unternehmen.’“

An der Kunsthochschule darf sie nicht die Zwischenprüfung ablegen, eine Wiederaufnahme des Studiums wird ihr am 24. August 1942 verwehrt. Als die Verhaftungen um die Rote Kapelle einen Monat später beginnen, löst Katja eine Fahrkarte nach Posen und schlägt sich durch zu den Eltern nach Libau.

Im Mai 1947 besucht der Tagesspiegel Katja Meirowsky: „Sie hat noch nie etwas ausgestellt. Aber sie malt, sie malt in einer Zeit, in der die meisten nur an die nächste Zuteilung denken, und in einer Stadt, die die sterbende genannt wird.“

Katja kommt zu Wort: „Als ich 1945 zurückkam, wollte ich wieder dort anfangen, wo ich damals aufhören musste. Ich hatte kaum gemalt inzwischen und spürte nun erst, wieviel weiter ich schon war. Wir hatten so viel erlebt und gesehen. Ich will nicht ausstellen, bevor ich nicht selbst mit mir zufrieden bin!“

Berlin, Kurfürstendamm 215, vom 10. bis 28. Februar 1948 ist „Karneval bei Rosen“, in der Galerie Gerd Rosen. Immer noch ein Schock für die Berliner:innen, präsentiert wird ihnen die Kunst, die zwölf Jahre als entartet galt: von Jeanne Mammen, Karl Hofer, Heinz Trökes, Mac Zimmermann, Werner Heldt und Katja Casella-Meirowsky.

1949, im Juni, gründen Katja und Karl Meirowsky zusammen mit dem Maler Alexander Camaro und 22 anderen Malern, Tänzern, Literaten und Musikern einen Ort der Freiheit, der Frechheit: das surrealistische Künstlerkabarett Die Badewanne.

Ein Hort des Ungewissen, der Grenzüberschreitungen, der Freiheit in der Kunst. Im Souterrain der früheren Femina-Bar in der Nürnberger Straße dröhnt die Jazzmusik, endlich ist das Tanzen hierzu nicht mehr verboten. Der Jazz ist ihr Protest, auch in Gegenwart der immer noch ewiggestrig Überzeugten und ihrem gezischelten „Euch hat man wohl vergessen zu vergasen!“ Und mittendrin, so gut wie in jeder Aufführung zu sehen, meist heiß bestrumpft mit Strapsen: Meirowsky.

Im künstlerischen Kollektiv entwirft sie Bühnenbilder und Kostüme, ist Teil von provokanten Vorstellungen: alles getreu dem von Lautréamont übernommenen surrealistischen Motto „Wie die unverhoffte Begegnung einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch.“ Anfang 1950 ist Schluss mit der Badewanne, nach nur einem halben Jahr, und es entstehen die Nachfolgekabaretts Quallenpeitsche und Atelier.

1953 wagen Karl und Katja ihr größtes Abenteuer: Sie gehen nach Ibiza, weit weg von allen Themen und Menschen, die aus der Nazi-Zeit herrühren. Die Insel ist spanischer Militärstützpunkt, wild, unverbraucht. Die Deutschen stellen die meisten Ausländer:innen, in zwei Gruppen, die einander verhasst bleiben: Altnazis und geflüchtete Juden, Displaced Persons, Menschen, die alles und alle verloren haben.

Fünfzig Jahre arbeitet Katja Meirowsky auf Ibiza, sie ist Mitgründerin der Grupo Ibiza 59, es entstehen Bilder voller Strahlkraft. Sie sind nun in Berlin in der Salongalerie „Die Möwe“ zu sehen, zusammen mit ihren „Zurück in die Stadt“-Kohlenzeichnungen. Im kommenden Jahr ist eine Ausstellung im Es Baluard, dem Museum für zeitgenössische Kunst in Palma auf Mallorca geplant.

Salongalerie „Die Möwe“, bis zum 12. November. Auguststraße 50 b, Di – Sa, 12 bis 18 Uhr. Silke Kettelhake hat unter anderem Biografien über die Bildhauerin Renée Sintenis und die Widerstandskämpferin Libertas Schulze-Boysen veröffentlicht.