Als das „goldene Zeitalterchen“ wird die Amtszeit von Klaus Lederer wohl in die Geschichte der Berliner Kulturpolitik eingehen. Als kurze Phase des kollektiven Glücksgefühls, die jäh durch die Schrecken der Pandemie beendet wurde. Bevor der Linken-Politiker den Chefsessel in der Brunnenstraße übernahm, waren die Kultursenatoren dieser Stadt ein Vierteljahrhundert lang Getriebene des Sparzwangs gewesen. Etats wurden abgeschmolzen, Institutionen mussten „verschlankt“ werden, also vor allem in ihrer Personalstärke reduziert. Und wenn die Gewerkschaften Lohnsteigerungen erstritten, sollten die Institutionen anschließend selbst sehen, wie sie die Mittel dafür aus ihren Haushalten zusammenkratzen.

Der Turnaround begann mit Klaus Wowereit, der sich in seiner Doppelfunktion als Regierender Bürgermeister und Kultursenator einen Stopp der destruktiven Strategie bewilligen konnte. In den folgenden Jahren konsolidierte sich die Situation, doch erst Klaus Lederer konnte dank sprudelnder Steuereinnahmen ab seinem Amtsantritt am 8. Dezember 2016 so richtig zum Wohltäter werden. Zu einer Art magischem Robin Hood, der den Armen gab, ohne den Reichen nehmen zu müssen. Denn es war genug Geld für alle da.

Die Leuchttürme der Berliner Kulturszene, von den Opern und den Philharmonikern über die Staatstheater bis zu den Museen, sie alle konnten weiter leuchten – jene aber, die bisher im Schatten der Förderpolitik gestanden hatten, fühlten sich endlich gesehen. Die Offkulturszene, auch auf der Bezirksebene, nahm Lederer in den Blick, dem Kinder- und Jugendtheater galt seine Zuneigung. Er kämpfte darum, bezahlbare Ateliers und Proberäume in den gentrifizierten Innenstadtbezirken zu erhalten oder sogar senatsseitig neu anzumieten; auch die Nobilitierung des nächtlichen Clubbesuchs zur kulturellen Handlung war ihm ein Herzensanliegen.

Als erster Senator überhaupt hat er auch die Kulturmuffel in den Blick genommen, wollte mit einer Nichtbesucher:innenbefragung herausbekommen, weshalb Menschen wenig Lust zum Besuch von Bühnen und Galerien verspüren. In der guten, alten „Kultur für alle“-Tradition, die mittlerweile mit Begriffen wie „Partizipation“ oder „Niedrigschwelligkeit“ jongliert, steht schließlich auch die Idee eines eintrittsfreien Sonntags pro Monat in den städtischen Museen. Nach langer, bürokratisch komplexer Vorarbeit konnte Lederer die Realisierung des Vorhabens gerade noch rechtzeitig zum Ende der Legislaturperiode verkünden.

Viel Skepsis war ihm damals entgegengeschlagen, als er das Amt des Kultursenators antrat. 1992 war Lederer in die PDS eingetreten, 2005 Landesvorsitzender der Partei geworden. Seit 2003 saß er zudem im Berliner Abgeordnetenhaus, war dort rechtspolitischer Sprecher der Linksfraktion sowie Mitglied im „Ausschuss für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Immunität und Geschäftsordnung“. Abgesehen von der Tatsache, dass er sich stets in existenzialistisches Schwarz kleidet, schien ihn kaum etwas für den kulturellen Senatorenposten zu prädestinieren.

Aber er arbeitete sich schnell ein, fand Akzeptanz auch jenseits der Künstlerzirkel seines Wohnumfeldes Prenzlauer Berg, erst bei den Intendant:innen der Hochkulturtempel, dann auch in bildungsbürgerlichen Kreisen. Dazu trug neben der Spur des Geldes, die er anfangs überall hinterlassen konnte, natürlich auch seine Personalpolitik bei. Die betrieb der Linke streng nach dem alten Adenauer-Motto: „Keine Experimente!“ Amtsinhaber wurden, wo immer möglich, verlängert, künstlerische Kontinuität zur Maxime erhoben. Immerhin eine zukunftsweisende Personalie konnte er noch verkünden: die Berufung von Joana Mallwitz zur Chefdirigentin des Berliner Konzerthausorchesters. Der Dreiklang „jünger, weiblicher, diverser“, den Lederer einst für die Neubesetzung des Volksbühnen-Leitungsteams ausgegeben hatte, hier kommt er aufs Schönste zum Klingen.

Als ihm die zwei Fehlbesetzungen auf die Füße fielen, die der tollkühne Tim Renner zu verantworten hatte, der unter Michael Müller Kulturstaatssekretär gewesen war, setzte Lederer zunächst auf Interimslösungen. Nachdem Sasha Waltz und Johannes Öhman beim Staatsballett hingeschmissen hatten, wurde eine Übergangschefin aus den eigenen Reihen rekrutiert. Mit dem Choreografen Christian Spuck konnte er Mitte Juni endlich einen Nachfolger präsentieren, allerdings erst ab Herbst 2023.

Bei der Volksbühne gab es nach dem Rückzug des – von Lederer stets offen abgelehnten – Chris Dercon zwar auch erst eine Zwischenintendanz. Aber hier war die Linie des Senators ganz klar: Es sollte am Rosa-Luxemburg-Platz so schön werden wie früher, in der Ära Frank Castorf. Und er fand den richtigen Mann dafür. Der Start von René Pollesch an der Volksbühne markiert somit eine Rückkehr zum Status quo ante, wie man unter Rechtswissenschaftlern sagt, zu denen ja auch der promovierte Jurist Lederer gehört.

Wie beliebt der Politiker ist, auch dank seines unermüdlichen Einsatzes für die prekäre Situation der Künstler:innen während der Lockdown-Perioden, manifestierte sich jüngst in einer großen Zeitungsanzeige: Als „besten Kultursenator, den wir je hatten“, lobten da 101 Unterzeichner:innen superlativisch die Leistungen Lederers, der aktuelle Spitzenkandidat seiner Partei für die Abgeordnetenhauswahl am 26. September ist. Von Sibylle Berg bis Martin Wuttke ging die La- Ola-Welle durchs Alphabet, Ku’damm- Bühnen-Chef Martin Woelffer war ebenso dabei wie Sophie Rois, Corinna Harfouch oder Josef Bierbichler.

„Wir werden verlieren, wenn Klaus Leder Regierender Bürgermeister wird. Aber für Berlin machen wir das!“, dröhnt die Annonce wahlkämpferisch, deren Initiatoren sich unter der Mailadresse kulturfuerklaus@gmx.de über „weitere Unterstützungsbekundungen“ freuen. Doch zur Krönung von Klaus II. als Oberhaupt des Stadtstaates wird es wohl kaum kommen. Auch wenn „Die Linke“ derzeit in den Umfragen gleichauf mit der CDU liegt, bei 20 Prozent. Der SPD aber werden sechs Punkte mehr prognostiziert.

Die Frage ist also: Entscheidet sich der durchaus ehrgeizige Politiker in einem möglichen Franziska-Giffey-Kabinett erneut für die Kultur, wenn er auch das prestigeträchtigere Finanz- oder Innenressort ergattern könnte? Frederik Hanssen

Foto: Britta Pedersend/dpa Klaus Lederer