Das Talent spielt die Hauptrolle
Ein Berliner Verein hilft mit seinem Programm jungen Geflüchteten, in die Kreativbranche zu kommen
Von Amélie Baasner
Beim Auftaktabend standen sie alle noch etwas verschüchtert herum zwischen den Filmemachern und Consultants. Immerhin galt damals im Herbst vorigen Jahres die ganze Aufmerksamkeit ihnen in den Räumen der Radical Media GmbH am Holzmarkt in Mitte. Es war ein Treffen zum Kennenlernen und der Beginn des Mentoring-Programms der Kreativagentur Talent & Talent, die allerdings auch dem lästigen Modetrend Vokale wegzulassen hinterherhinkt, und sich daher TLNT&TLNT e.V. schreibt. Der Verein wird von der Berliner Sozialarbeiterin Agnieszka Aksamit geleitet. Zusammen mit vier weiteren Frauen im Team hat sie sich zum Ziel gesetzt, junge Menschen auf dem Weg in die kreative Branche zu unterstützen. Gelingen soll dies durch engmaschige Betreuung. Jeder Mentee bekommt für drei Monate einen „alten Hasen aus der Branche“ als persönlichen Berater an die Hand. Primär richtete sich das Angebot dabei an BIPoC – also Black, Indigenous and People of Color – ausgeschlossen werden solle jedoch niemand.
Der Verein wird von einer Crowdfunding-Kampagne finanziert und steckt noch ganz am Anfang, sagt die Gründerin. „Wir arbeiten seit 2020 nebenberuflich für TLNT&TLNT e.V., unser Traum wäre natürlich irgendwann davon leben zu können.“ Aber zunächst gelte es, funktionierende Betreuungsformate zu finden. Mentoring-Programme in der freien Wirtschaft sind in Deutschland noch rar, Aksamit schaut deswegen oft in die USA oder nach Großbritannien.
„Die Idee zu dem Programm kam mir während meiner Arbeit als Sozialarbeiterin“, erinnert sich Aksamit. Seit 2016 ist die Mittdreißigerin für einen Wohlfahrtsverein in Schöneberg tätig. „Ich begleite Geflüchtete bei der Integration und helfe ihnen, sich in der deutschen Gesellschaft zurechtzufinden. Das reicht von Aufenthaltsgenehmigungen über Zeugnisanerkennung bis hin zur Vermittlung von Sprachkursen.“
Bei Aksamit entstand schnell der Wunsch, früher anzuknüpfen. Sie wolle nicht erst Brandherde löschen, sondern den Jugendlichen helfen, ihre Träume zu verwirklichen: Den Wunsch, Schauspielerin zu werden beispielsweise. Das akzeptiere weder das Jobcenter noch die Familie aus Syrien, sagt Aksamit.
Die Wirtschaftszweige, in denen die meisten 15- bis 24-Jährigen Beschäftigten aus dem Ausland in Berlin Arbeit finden, sind tatsächlich Gastronomie, Einzelhandel, Landschaftsbau und das Baugewerbe, bestätigt eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Von kreativen Berufen ist nicht die Rede. „Für junge Menschen kann es fatal sein, keine Träume zu haben. Oft werden sie depressiv oder verweigern völlig den Alltag.“
Aksamit mobilisiert ihre Freunde aus der Kommunikationsbranche, vermittelt Praktika und Kontakte. Ihr Netzwerk ist groß, überwiegend weiblich. Die Nachfrage käme von beiden Seiten. Viele Kreative wollten sich zwar engagieren, wüssten aber nicht wie. Die Sozialarbeiterin werde so zum Bindeglied zwischen Berliner Elite und potenziell Ausgegrenzten, sie wolle Strukturen aufreißen und bürokratische Hürden minimieren. „Langfristig möchte ich Begegnungsstätten schaffen. Aber eben nicht Jugendclubs irgendwo im Nirgendwo, sondern direkt im Zentrum Berlins.“ 2019 nahm sich die Sozialarbeiterin eine Auszeit und erstellte das Konzept für ihren Verein TLNT&TLNT e.V., der bereits vom Namen her auf eine Begegnung auf Augenhöhe abzielen soll. Mentor und Mentee sind aufgefordert, gemeinsam an Zielen und Wünschen zu arbeiten, idealerweise mit einem konkreten Projekt. Während der dreimonatigen Testphase entstehen so Kurzfilme, Bewerbungsmappen, Fotostrecken und neue Berufsziele. Auch die Mentoren bekommen kritisches Feedback und Weiterbildungen, man bereichert sich gegenseitig.
Felicia Herrmann arbeitete mit ihrer Unterstützerin Alejandra Ruiz-Zorilla an ihrem ersten Skript, sie möchte Filmemacherin werden. „Für mich war es toll, mit Alejandra zu arbeiten. Man sieht nicht oft Frauen, die aussehen wie ich, in der Filmbranche“, sagt sie und meint damit Latinas. „Wir ticken ähnlich. Meine Wurzeln sind brasilianisch, Alejandra kommt aus Spanien.“ Felicias Mentorin ist Regisseurin und bewegt sich seit mehr als acht Jahren zwischen Film, Design und Werbung, zunächst für die Agenturen Kemmler Kemmler und Zeitguised, inzwischen als Selbstständige. Wenn sie über ihren Mentee spricht, erinnert sie sich an ihre eigenen Anfänge. „Ich hatte einen Chef, der mich unterstützt und betreut hat. Das war ausschlaggebend für meine Karriere. Es gab eine Person, die in mir kreatives Potenzial gesehen hat.“ Zwischen den beiden Frauen entstand eine Freundschaft, bei den Treffen sprechen sie auch über Lebenskrisen und Hoffnungen.
Andrea Janssen arbeitet für die Outreach gGmbH , einem Kooperationspartner der Jugendberufsagentur, die mobile Berufsberatung des Jobcenters Berlin. Gemeinsam mit einer Kollegin ist sie unterwegs in Friedrichshain und Kreuzberg, um Jugendliche anzusprechen, die das Jobcenter verloren hat. „Das wichtigste bei unserer Arbeit ist der persönliche Kontakt. Das sind Prozesse, die Zeit benötigen, man muss Vertrauen bilden.“ Das Größte Problem der Jugendlichen im Kontakt mit dem Jobcenter sei die Bürokratie. Die mache Angst und dann schaue man lieber nicht hin. Anträge schreiben, Webseiten entziffern, Termine wahrnehmen.
Die spezifische Arbeitslosenquote der 15-bis 24-Jährigen in Berlin lag 2020 bei Menschen mit Migrationshintergrund mit 13,1 Prozent über dem Durchschnitt von 9,1 Prozent laut dem Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB). Jugendliche aus Syrien und dem Irak sind mit 44,8 und 33,5 Prozent Nachzügler, da erst Hürden wie Sprach- und Integrationskurse genommen werden müssen.
Es gehöre dazu, sich beim Erwachsenwerden ausprobieren zu dürfen. Auch, wenn manch einer mal eine Schnapsidee hat, oder man später scheitert. Eine Mentorin könne hilfreich sein – manchmal braucht man jemanden, der einen an die Hand nimmt.
Absolute Beginner. Kürzlich gegründet, hat das Team um Leiterin Agnieszka Aksamit (rechts) schon viele Unterstützerinnen für den Verein Talent & Talent. Foto: Talent & Talent