Donald Trump erkennt seine Wahlniederlage nicht an, mit platten Phrasen hetzt er seine Anhänger auf. In der Art, wie er seine Macht ausübte, zeigt er von Anfang an ein sehr kindliches Verhalten, was angesichts der aktuellen Ereignisse nicht verharmlosend gemeint ist. Spricht da aber nicht tatsächlich auch immer das innere Kind aus dem Mann im Weißen Haus?

Donald Trump verhält sich wie der Mobber im Sandkasten. Er hat seine Gefühle nicht im Griff und zeigt auch keine Empathie. Das mag jetzt gemein gegenüber Kindern klingen, aber das sind frühkindliche Verhaltenszüge. Er kann die Komplexität der Gefühlswelten nicht erkennen. Er lebt in einer Welt, die er sich selbst zurechtgelegt hat und an die er selbst glaubt. In seiner Welt ist kein ,du‘ und kein ,wir‘ vorgesehen.

Was meinen Sie damit?

Menschen brauchen freudvolle Beziehungen. Wir müssen uns von Angesicht zu Angesicht austauschen können, ohne uns bedroht zu fühlen. Und wir müssen auch dann Beziehungen gestalten können, wenn wir nicht immer nur der Star sind. Wenn uns das gelingt, ist das eine ganz tolle Ressource für unser Leben. Dann können wir selbstständig sein, wir können kooperieren und auch Konflikte austragen. Donald Trump hat diese Fähigkeiten nicht.

Das „Nicht-verlieren-Können“ scheint tief bei ihm verankert zu sein, woran liegt das?

In der Autoritarismus-Theorie ist er der Social Dominator. Er kann nur in der Siegerpose leben, sein ganzes Bestreben ist auf Dominanz ausgerichtet, darauf, andere kleinzuhalten. Das ist die einzige Form, in der er Beziehungen eingehen kann. Vieles lässt sich auf seine zerrüttete Kindheit zurückführen. Eine Mutter, die wenig für ihn da war, und ein ebenfalls sehr dominanter Vater, der immer zu ihm gesagt hat: ,Be a killer, be a king‘. In dem Sinne: du kannst das überspielen, was du nicht kannst.

Nun gibt er sich selbst häufig als Vaterfigur. Der Sturm auf das Kapitol hat gezeigt, wie gefährlich seine Anhänger werden können und wie viel Macht er über sie ausüben kann. Was suchen die Leute in Trump? Und was gibt er ihnen?

Das ist das typische autoritäre Doppeldecker-System. Unten im Bus sitzen die Leute, die in ihrem Leben gepolt sind auf äußere Ansagen, die geleitet werden wollen. Diese Leute haben wenig Erfahrungen damit gemacht, ihre eigene Stimme einzubringen oder dass sie selbst etwas bewirken können. Viele seiner Anhänger sind unglaublich ängstlich. Sie haben Angst vor Einbrechern, Angst vor Einwanderern, deshalb haben sie auch so viele Waffen. So ein starker Führer ist eine Figur, die Menschen, die mit grundlegender Angst zu kämpfen haben, ein gutes Angebot macht.

Woher kommt diese Angst?

Da gibt es die Theorie der Abgehängten, die auf sozioökonomische Faktoren zurückzuführen ist. Das alleine reicht mir nicht als Erklärung. Mich bringt das vielmehr in die Kindheit, in der grundlegende Erfahrungen gemacht werden. Die Familie ist das erste Herrschaftssystem, das wir kennenlernen. Da lernen wir, wie Menschen mit Macht und Überlegenheit umgehen, und verinnerlichen das. Mache ich dabei gute Erfahrungen und merke, ich kann mitgestalten, ich kann etwas bewirken, die Bindungen sind stimmig, dann speichere ich dies als Gefühl von innerer Heimat. Doch wenn ich in diesem ersten Regierungssystem die gegenteiligen Erfahrungen mache, die Welt als unsicher erlebe, mich ständig zur Wehr setzen muss und meine Stimme nichts zählt, dann entsteht ein Vakuum. Dort, wo andere ein Gefühl von innerer Heimat aufbauen, bauen andere ein Loch auf. Diese Menschen richten im weiteren Leben ihre Hoffnungen auf einen Ersatz – also Sicherheit und Anerkennung, die von außen kommt. Und genau das verspricht ihnen Donald Trump: Du bist toll, weil du Amerikaner bist, du bist toll, weil du Weißer bist, und ich siege für dich.

Was weiß man über den Erziehungsstil aus den Gegenden der Trump-Anhänger?

Sie kommen vor allem aus den Flyover States, den Regionen im Herzen der USA, in denen es einen viel geringeren kulturellen Wandel gegeben hat als in den Küstenregionen und den urbanen Zentren. Die ganze Liberalisierung im Umgang mit Menschen, mit Andersartigkeit oder Fremden hat dort viel weniger stattgefunden. In sehr vielen Familien dort geht es noch immer um Gehorsam, die Ansagen macht der Vater, oft mit Gewalt. Die Frage ,Ist es in Ordnung, ein Kind zu schlagen, um ihm Disziplin beizubringen?‘ beantworten in den USA insgesamt noch immer 70 Prozent mit Ja. Und die 22 Bundesstaaten, in denen die Zustimmung zu dieser Frage besonders hoch ist, sind allesamt republikanisches Terrain. Wo streng erzogen wird, herrschen eben auch strenge Vorstellungen von Politik.

Wir hatten ein weniger dramatisches, aber ähnliches Ereignis in Berlin, als im August Verschwörungsideologen und Rechtsextreme auf die Treppen des Reichstags gestürmt sind. Viele der Teilnehmer*innen teilen den Glauben an QAnon und denken, dass die Corona-Pandemie von Jeff Bezos und Bill Gates gezielt initiiert wurde. Diesen Leuten geht es ja hier in Deutschland gar nicht so schlecht, eine Diktatur gibt es nicht. Was könnten die eigentlichen Beweggründe sein?

Diese Leute meinen ja tatsächlich, wir leben in einer Diktatur, und um das zu glauben, muss man mit der Wirklichkeit sehr schlechte Erfahrungen gemacht haben. Wenn jemand an solche absurden Theorien glaubt, muss man sehr viele enttäuschende Erfahrungen im richtigen Leben gemacht haben. Das passiert nicht grundlos. Und ich bin schon überrascht, warum sich auch Naturverbundene, die ja eher das Positive an dieser Welt schätzen, mit den Rechtsextremen, die immer nur den Feind sehen, zusammentun. Es ist eine Suche nach Sicherheit und eine Realitätsflucht.

Es gibt Leute, die stehen ganz normal im Leben, haben Kinder, einen Partner, Haus und Beruf. Was können Gründe sein, dass eine solche Person plötzlich zum Realitätsverweigerer wird und anfängt, an wirre Mythen zu glauben, oder meint, sie könnte plötzlich hellsehen?

Das ist eine Orientierungssuche. Bill Gates macht etwas und dann passiert etwas. Eine anonyme und komplexe Wirklichkeit, die uns wirklich bedroht, ersetze ich durch eine Geschichte, die stimmig ist. Es gibt Schuldige, die werden bestraft und dann ist die Welt wieder gerecht. Deshalb gibt es auch die Plakate auf den Demonstrationen der Corona-Skeptiker, bei denen immer jemand verhaftet werden muss. Auch ich bekomme, weil ich über Corona schreibe, Mails von Leuten, die mich vor Gericht stellen möchten. Dieser Bestrafungsmythos ist ständig dabei und das ist eine Möglichkeit, die diffuse und bedrohliche Wirklichkeit einzugrenzen. Denn das bringt Ordnung in eine unordentliche Entwicklung. Die aktuelle Situation ist ein Dilemma, dabei geht immer nur um Schadensbegrenzung, es gibt keinen Ausweg. Deshalb verdrehen viele lieber die Fakten, als dem Dilemma ins Auge zu sehen.

Wie geraten diese Leute in diesen Strudel und müssten viele nicht lieber an ganz anderer Stelle Probleme abarbeiten?

Die Leute radikalisieren sich, weil sie auf einmal eine Erfahrung in einer Rolle machen, die sie nie hatten. Auf einmal sind sie Helden, auf einmal retten sie die Welt, auf einmal geht es um viel größere Themen als den Alltag. Leider gehen in diesem ganzen Wirrwarr die wirklichen Protestgründe gegen bestimmte Corona-Regelungen unter, etwa die Verteilung der Corona-Gelder oder eine Diskussion über die Würde des Sterbens, was viel wichtiger wäre.

Es gibt viele Menschen, die derzeit sehr darunter leiden, wenn die Mutter, der Vater, die Schwester oder der Großvater zum Verschwörungstheoretiker wird. Wie kann man der Person helfen, wenn man merkt, dass sie sich dadurch zutiefst schadet?

Über Fakten diese Person zu erreichen, ist schwer möglich. Vielleicht kann man damit anknüpfen, dass man die Menschen auch auf die persönlichen Schwächen ihrer Führer hinweist, aber bei den Trump-Anhängern hat das ja auch nicht funktioniert. Ich bin skeptisch, was das Überzeugen angeht. Die Rolle, die viele in dieser Bewegung haben, ist ja auch sehr angenehm. Man bekommt viel Aufwind. Der Realitätsverweigerer erinnert da etwas an den Psychotiker. Die Psychotiker haben eine eigene Welt. Sie leiden unter Verfolgungswahn, also schrecklicher Angst. Gleichzeitig ist es für sie aber auch irre stimulierend, wenn sie immerzu für das Gute kämpfen und die Welt retten müssen. Deshalb beinhaltet die Behandlung immer die Entzugsdepression. Diese postpsychotische Depression ist unter Psychotikern gefürchtet. Das lässt wenig hoffen für die nächsten Monate. Diese Leute werden nicht die Ernüchterung im Alltag suchen, da kommt eher gleich die nächste glorreiche Rettungsaktion. Wer will in die Depression zurückgehen und Lieschen Müller sein, wenn man jetzt die Welt gegen Bill Gates verteidigen kann.

Das klingt so, als ob jeder in diesen Bann der Verschwörungsmythiker reingezogen werden kann, wie in eine Sekte?

Ich glaube nicht, dass da jemand verführt wird, der eigentlich gut im Leben steht. Irgendein Ansatzpunkt ist meistens schon da. Dahinter steckt für mich eine innere Unsicherheit, die jetzt zum Ausdruck kommt. Da muss irgendein sichernder Grund nicht da sein, dass man aus der Welt flüchtet, statt ihr standzuhalten.

Das Gespräch führte Saara von Alten. Herbert Renz-Polsters letztes Buch mit dem Titel „Erziehung prägt Gesinnung. Wie der weltweite Rechtsruck entstehen konnte – und wie wir ihn aufhalten können“ ist bei Kösel erschienen. Herbert Renz-Polster hat mehrere Bücher zur kindlichen Entwicklung geschrieben. Zuletzt hat er sich der Frage gewidmet, inwiefern Erziehung für den weltweiten Rechtsruck verantwortlich ist.

Strenge Erziehung – strenge Vorstellungen von Politik. Viele Trump-Anhänger kommen aus Regionen der USA, in denen es kaum Liberalisierung gegeben hat. In vielen Familien dort geht es um Gehorsam, Ansagen macht der Vater, oft mit Gewalt. Foto: Jonathan Ernst/Reuters