Auf seinem Schreibtisch türmt sich alles, was in diesem Jahr politisch beschlossen wurde und Unternehmen umtreibt. Was ihnen helfen soll, dieses Jahr durchzustehen. Wolfgang Wawro ist Steuerberater in Berlin. Sechs Frauen und Männer arbeiten bei ihm, einer in Teilzeit. Vor allem im Frühjahr hätten viele Mandanten Fragen zu den finanziellen Corona-Hilfen der Bundesregierung gehabt, die sich im Laufe der Monate immer wieder änderten. Ein Handelsvertreter für Bettwäsche hatte zwei Monate lang nichts zu tun, als alle Läden geschlossen waren. Ein Mandant, der Kitas Obst und Gemüse verkauft, ebenso. „Wir haben da auch mal ein Honorar geschoben“, sagt Wawro.

Sein Arbeitsaufwand sei enorm. Gerade habe Wawro viel zu tun, weil die Unternehmen Hilfe bei ihren Jahresbilanzen bräuchten. Auch das ist nun anders. „Bei Betriebsprüfungen kamen die Mitarbeiter vom Finanzamt zu uns in die Kanzlei. Wir haben uns in einen Konferenzraum gesetzt und sind die Unterlagen durchgegangen“, sagt Wawro. „Das wird jetzt nicht möglich sein und statt mal eben zum Schrank zu gehen, werden wir telefonieren und mehrmals was nachschicken müssen.“ Die Hilfen wegen des Lockdown Light interessierten in seinem Büro gerade nicht so sehr, weil er kaum Mandanten in der Gastronomie hat. Die kleinen und mittelgroßen Betrieben, die er betreut, kämen inzwischen zurecht.

So wie Wolfgang Wawro geht es den meisten der rund 99 000 Steuerberaterinnen und Berater in Deutschland. Die Absenkung und Anhebung der Mehrwertsteuer beschäftigt sie. Mit dem Konjunkturpaket wurde zum 1. Juli der reguläre Satz von 19 auf 16 Prozent und der ermäßigte Satz von sieben auf fünf Prozent gesenkt. Am 1. Januar 2021 gelten wieder die alten Sätze. Steuerberater kümmern sich zusätzlich zu ihrem normalen Geschäft um Anträge auf Kurzarbeitergeld, Stundungen von anstehenden Steuerzahlungen, um Überbrückungshilfen und Formulare für KfW-Kredite. Um alles, was Betrieben hilft, die Krise durchzustehen.

Anders als die Soforthilfen zu Beginn der Pandemie können die Überbrückungshilfen inzwischen nur noch über „prüfende Dritte“ beantragt werden. Dadurch soll ein Missbrauch der Gelder erschwert werden. Außerdem erleichtern formal richtige Anträge die Bearbeitung und beschleunigen das Verfahren. Für Wolfgang Wawro bedeutet die Entscheidung vor allem eins: Mehrarbeit, während die Sorgen seiner Mandanten existenziell sind. Dringlich. Beratungen zu Sanierungen und Insolvenzen nehmen in vielen Kanzleien des Landes zu.

Norman Peters ist Steuerberater und Hauptgeschäftsführer des Deutschen Steuerberaterverbands. „Seit Monaten heißt es für die Mehrheit der kleinen und mittleren Kanzleien: Arbeiten am Limit“, sagt er. „So gut wie jeder Mandant ist in irgendeiner Weise von den Auswirkungen der Pandemie betroffen.“ Normalerweise müssten sich die Berater jetzt den Steuererklärungen 2019 und den Jahresabschlüssen der Mandanten widmen, um die Fristen bis Ende 2020 und Ende Februar 2021 zu halten. Nur wie? „Nach wie vor ist dafür nicht ausreichend Land in Sicht“, sagt Peters. Personell aufstocken können die Kanzleien kaum. Es fehlt an Fachkräften.

Deswegen fordert Peters eine Entlastung seines Berufsstands. Die Fristen zur Offenlegung der Jahresabschlüsse von kleinen und mittleren Kapitalgesellschaften und zur Abgabe der Steuererklärungen 2019 müssten aus seiner Sicht verlängert werden. Denn: Bei Fristversäumnissen träfen die Steuerpflichtigen automatische Sanktionen. Peters hat der Bundesregierung die Problematik bereits im Sommer in einem Brandbrief geschildert. Bis jetzt ohne Erfolg. Ohne Antwort. Die Kolleginnen und Kollegen in der Praxis seien nach den Worten von Norman Peters schwer enttäuscht. „Dass die Bundesregierung nun einfach die Augen vor ihren offensichtlichen Nöten verschließt, führt zu Frust“, sagt er. Die Steuerberaterkammern sind die berufliche Selbstverwaltung aller in ihrem Gebiet niedergelassenen Berater. Präsident der Spitzenorganisation ist Hartmut Schwab, der den Eindruck von Norman Peters teilt: Die meisten Kanzleien würden seit Monaten über ihre Kräfte hinaus arbeiten. „Der Tag hat aber auch hier nur 24 Stunden“, sagt er. Hinzu komme der Druck, alles richtig zu machen.

„Berät der Steuerberater zu diesen größtenteils neuen Themen, steht er dazu, wie bei den anderen Beratungsfeldern auch, in der Haftung“, sagt Schwab. Das Wissen hätten sich die Kolleginnen und Kollegen in diesem trubeligen Jahr innerhalb kürzester Zeit aneignen müssen. Gerade bei den Überbrückungshilfen hätten die Steuerberater eine große Verantwortung und „weiß Gott viel Arbeit“ übernommen. Und nun käme auch noch die Novemberhilfe dazu. Hartmut Schwab setzt sich deswegen auch für eine Fristverlängerung ein. Er habe dazu mit dem Bundesfinanzministerium bereits Kontakt aufgenommen. Keine Reaktion.

Wolfgang Wawro erwartet einen chaotischen Frühling. Nicht nur wegen der näher rückenden Abgabedaten. Dann werden auch die Steuererklärungen insbesondere wegen der Corona-Hilfen geprüft. Waren die Hilfen gerechtfertigt? Stimmen alle Angaben? Wenn nicht, drohen Rückzahlungen oder bei Betrug gar rechtliche Sanktionen.

„Was vielen nicht klar war: Die Überbrückungshilfen muss man nicht zurückzahlen, aber man muss sie bei der nächsten Steuererklärung dem Gewinn hinzurechnen“, sagt Wawro – und nennt ein Rechenbeispiel: Hat jemand in diesem Jahr 30 000 Euro eingenommen und 15 000 Hilfsgelder beantragt, muss er 2021 Steuern für 45 000 Euro zahlen. Er könnte so einen Teil der Corona-Leistung an den Staat zurückzahlen müssen. Bei höheren Gewinnen bis zu rund 40 Prozent, bei niedrigsten Gewinnen nichts. Er wird wieder viel erklären müssen.