Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) erwägt möglicherweise eine neue Strategie in der Diskussion um ihre Doktorarbeit. Anders als noch im vergangenen Jahr betrachtet Giffey das Prüfungsverfahren offenbar nicht mehr als zumindest teilweise politische Angelegenheit, sondern als reine Privatsache, die nicht in die Öffentlichkeit gehört. Das geht aus einem Schreiben von Giffeys Rechtsanwalt Andreas Köhler an die Freie Universität (FU) hervor, das dem Tagesspiegel vorliegt. Darin wendet sich Giffeys Anwalt gegen die Herausgabe von Prüfungsunterlagen an Dritte nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG).

Es sei „falsch, dass Frau Dr. Giffey in Bezug auf das Promotionsüberprüfungsverfahren eine Person des öffentlichen Lebens ist“, heißt es in der umfangreichen Stellungnahme, die Köhler bereits Ende April an die FU geschickt hat. Sie trete hier nicht als Bundesministerin oder bekannte Politikerin auf, sondern als Beteiligte in einem behördlichen Verfahren. „Diese Beteiligung betrifft daher die besonders geschützte Privatsphäre unserer Mandantin als Privatperson“. So habe die Ministerin „als Privatperson, auf eigenem, privatem Briefkopf“ im Februar 2019 um eine förmliche Überprüfung ihrer Dissertation gebeten. Mit dem Anwaltsschreiben wehrt sich Giffey gegen einen Antrag des Informationsfreiheitsportals „FragDenStaat“, das vor dem Verwaltungsgericht auf Aktenzugang klagt – unter Verweis auf das Informationsfreiheitsgesetz.

Die Darlegungen Giffeys gegenüber der FU stehen im Widerspruch zu Bekundungen im Sommer 2019, in denen die Ministerin noch ihre politische Zukunft mit dem Verfahren und seinen Ergebnissen verbunden hatte. Mittlerweile ist unklar, ob sie an ihren damaligen Aussagen angesichts der erneuten Prüfung ihrer Arbeit festhalten will. Möglich erscheint auch, dass die Politikerin trotz eines Titelentzugs im Amt bleiben und dennoch eine Kandidatur für den SPD-Landesvorsitz in Berlin anstreben will. Oder sie verzichtet darauf, den „Doktor“ zu führen. Den gesamten Vorgang um die Dissertation ausschließlich der „Privatsphäre“ zuzuordnen und ein öffentliches Interesse abzustreiten, könnte in beiden Fällen helfen.

Im Sommer 2019 hatte Giffey der SPD-Bundesspitze per Brief mitgeteilt, sie verzichte auf eine Kandidatur als Parteivorsitzende und werde auch von ihrem Amt als Familienministerin zurücktreten, sollte ihr der Doktortitel entzogen werden. Der Brief landete bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, was vermutlich kein Zufall war. Die damalige kommissarische Parteivorsitzende Malu Dreyer gab zudem, mutmaßlich im Einverständnis mit Giffey, eine umfangreiche Stellungnahme ab und bestätigte den Inhalt des Schreibens. Auch Giffeys Ministerium bestätigte den Vorgang anschließend. Zudem versandte die Pressestelle noch weitere Erklärungen Giffeys zu dem Verfahren.

Im Schreiben ihres Anwalts lässt Giffey indes vortragen, dass jegliche „öffentliche Erklärungen“ von ihr zu dem Verfahren fehlten. Journalisten hätten „viele Fehlinformationen“ sowie „Spekulationen“ in die Öffentlichkeit getragen, „ohne irgendeinen Wahrheitsgehalt“. Das vorgebliche Interesse an den Prüfunterlagen verfolge einen „diffamierenden und verleumderischen Zweck“.

Im Oktober 2019 hatte die FU entschieden, dass Giffey ihren Titel trotz Mängeln in der Dissertation behalten darf, und erteilte ihr eine Rüge. Nach einer erneuten Begutachtung, ob die Rüge regelkonform erging, will das Präsidium jetzt ein zweites Prüfverfahren starten.

Giffeys Anwalt Köhler war selbst mehrere Jahre für die SPD im Abgeordnetenhaus und hat mit seiner Kanzlei auch Giffeys Ehemann Karsten im Rechtsstreit um seine Entlassung als Beamter vertreten. Jost Müller-Neuhof