Berlin - Es wirkt wie ein Klischee aus einem Comedyprogramm: Die Frau, die weiß, wo jede Socke jedes Familienmitglieds liegt und die dem Partner auf Anhieb sagen kann, wo dessen Brille ist; der Mann, der auf seine Hobbys oder ausgiebigen Mittagsschlaf besteht, während die Frau vor lauter Windeln und Geschrei kaum zum Duschen kommt; oder der Spruch „Hättest Du gefragt, hätte ich geholfen“.

Dass etwas schiefliegt in der Verteilung von Lohn- und Sorgearbeit, ist offensichtlich: 52,4 Prozent beträgt der sogenannte Gender Care Gap. Das heißt, dass Frauen durchschnittlich über die Hälfte mehr an Zeit für Carearbeit aufbringen als Männer. Konkret leisten Frauen 87 Minuten mehr Sorgearbeitszeit als Männer, bei denen es zwei Stunden und 46 Minuten pro Tag sind.

Das summiert sich: Auf eine Woche gerechnet leisten Frauen 29,5 Stunden unbezahlte Sorgearbeit, Männer dagegen nur 19,3 Stunden. Damit verbringen Frauen fast so lange unbezahlt mit häuslichen Aufgaben, wie sie ihre durchschnittliche Lohnarbeitszeit von 32 Stunden ableisten. Männer wiederum leisten „nur“ einen zusätzlichen Halbtagsjob neben ihrer durchschnittlichen Arbeitszeit von 41 Stunden.

Ob also soziale Sicherung und Teilhabe oder Familienglück: Es gibt viele Argumente, die ungleich verteilte Lohn- und Carearbeit neu zu sortieren. Eine Psychologin und Autorin und ein Sozialwissenschaftler und Leiter der Fachstelle Väterarbeit Nordrhein-Westfalen erklären, was sich ändern müsste.

Patricia Cammarata, Psychologin und Autorin von „Die Mental-Load-Falle“

„Sorgearbeit ist wie ein Eisberg: Der sichtbare Teil sind die To-Dos, die Aufgaben, die erledigt werden müssen. Unter der Oberfläche liegt der sogenannte Mental Load, also die Bürde, ständig den Überblick und letztendlich auch den Großteil der Verantwortung zu tragen. Das Problem ist, dass dieser Mental Load oft im Multitasking versteckt ist: Man kann auch auf dem Sofa sitzen, während man die Essensplanung betreibt oder in der Bahn über Geschenkideen nachdenken.

Das Anstrengende am Mental Load ist, dass man nie Feierabend hat, es gibt ist eine schier unendliche Liste an Dingen, die man noch tun kann oder muss. Und der Load erstreckt sich auf meist auf mehrere Menschen: Man plant für die Kinder und oft auch noch den Partner mit. Man ist also in 24/7-Dauerbereitschaft. Das ist eine große Belastung.

Der Eindruck von außen trügt: Frauen mögen zwar öfter in Teilzeit arbeiten, durch diese Dauerbereitschaft und das Sorgen um andere Menschen kommen sie aber schlechter zur Ruhe und erleben nachweislich mehr Stress.

Ein Gleichgewicht herzustellen, ist deswegen so schwierig, weil Frauen das Kümmern als quasi angeboren zugeschrieben wird. Sätze wie ‚Das Kind gehört zur Mutter’ erzeugen Bilder, die sich tief einbrennen. Es liegt aber auch an den Frauen selbst: Häufig ziehen sie sich den Schuh an, für Kinder und Haushalt fast alleine zuständig zu sein.

Ich empfehle Paaren, an der eigenen Wahrnehmung zu arbeiten. Anstatt Einzelaufgaben zu diskutieren, sollten sie Haus- und Sorgearbeit als Cluster oder Handlungsfelder wahrnehmen, zu denen auch Planung und Verantwortung gehören. Beim Wochenendeinkauf etwa sagen viele Männer: ‚Den mache ich doch.’ Es gehört aber mehr dazu, als den Einkaufszettel abzuarbeiten und eventuell den Einkauf einzuräumen. Vorher muss geschaut werden: Was haben wir vergangene Woche gegessen? Was ist noch da, was muss weg? Was wollen wir kommende Woche essen? Bis zum Einkaufszettel entsteht also eine Menge Mental Load.

Sind solche Cluster identifiziert, sollte eine Person sie ganz übernehmen, also inklusive Vorplanung und eventueller Alternativplanung, wenn etwas nicht klappt. So bricht man althergebrachte Hierarchien auf, in denen die Frau die ‚Chefin’ ist, die planen, delegieren und überprüfen muss. Ganz wichtig ist deshalb auch: Nicht Feuerwehr spielen! Es kann schwer sein, Fehler und Ineffizienzen zu ertragen. Aber die Person, die für das Cluster verantwortlich ist, sollte diese Verantwortung auch behalten. Das muss man üben.

Ich empfehle wöchentliche Gespräche. Dann kann man beständig Muster und kleine Aufgaben sichtbar machen. Denn viele Sorgeaufgaben, die permanent laufen, sind unsichtbar. Zum Beispiel sind es die Mütter, die meist vorsorglich nachschauen, ob noch genügend warme oder eben leichtere Kleidung vorhanden ist, wenn ein Jahreszeitenwechsel ansteht oder ob die Kleidung noch passt. Auch diese Aufgabe gehört auf den Tisch und sollte zugeteilt werden.

Es dauert lange und ist schwer, diese Muster abzulegen. Bei Schwangerschaften sagt man: Der Bauch kommt neun Monate lang und braucht genau so lange, bis er geht. Man sollte sich auch bei solchen Gewohnheiten darauf einstellen, dass es Jahre oder gar Jahrzehnte brauchen wird, bis man sich das Kümmern oder eben das Nicht-Kümmern abgewöhnt hat.

In der Kommunikation ist es wichtig, freundlich, aber bestimmt zu kommunizieren. ‚Du musst’ oder ‚Du sollst’ sind nicht hilfreich, da hilft es eher, Ungleichheiten zu benennen und zu entscheiden, wie man die Balance wiederherstellt. Andererseits sollte man auch nicht bange sein, Aufgaben abzugeben, denn in der oft anstrengenden Neustrukturierung kann auch eine Chance für einen selbst, die Beziehung und die Familie werden.

Im Gespräch darüber, was vielleicht nicht so gut läuft, gilt: Feedback anhören und erst einmal ohne Kommentar zur Kenntnis nehmen. Erklärungen und Verteidigung führen nicht selten zu Diskussionen, Streit und Frust. Es ist okay, wenn nicht alles perfekt läuft.

Bei Aufgaben, die nur eine Person sieht oder die eine Person lockerer nimmt, sollte man gemeinsam Prioritäten beschließen: Wo möchte man einen gewissen Anspruch erfüllen, etwa bei der Hausaufgabenhilfe oder Arztterminen, was ist vielleicht verschiebbar oder darf auch mal ausfallen und was ist nice to have? Und man sollte sich auch fragen: Warum ist mir das wichtig? Ist der Kindergeburtstag mit den Servietten, die zu den Tellern passen und den verschiedenen selbstgebackenen Kuchen, deren Fotos danach auf Instagram veröffentlicht werden, vielleicht ein Mittel, um endlich Anerkennung zu bekommen?

Wird ein Paar sich nicht einig, ob eine Aufgabe wichtig oder überhaupt nötig ist, gibt es drei Möglichkeiten: Outsourcen, etwa an eine Reinigungskraft; ein Zugeständnis machen an die Person, der es wichtig ist, und die Aufgabe mit übernehmen oder eine andere dafür erledigen; oder es selbst erledigen, weil es wirklich nur mir wichtig ist. Solche Themen sollten aber nach Möglichkeit nicht überhand nehmen.“

Hans-Georg Nelles, Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft Väterarbeit NRW und Sozialwissenschaftler

„Die Haupthürde für Männer und vor allem Väter, sich mehr zu beteiligen, ist die Tatsache, dass der Tag nur 24 Stunden hat. Wenn ich schaue, wie Carearbeit aufgeteilt ist, muss ich auch schauen, wie die andere Arbeit aufgeteilt ist. Eine große Zeitverwendungsstudie hat gezeigt, dass Frauen und Männer mit Kindern zwar im Durchschnitt 10 Stunden mehr Arbeit pro Woche haben, die Summe der Arbeit am Ende aber in etwa gleich ist. Nur die Verteilung zwischen Care- und Lohnarbeit ist eben nicht gleich – und das sollte anders sein.

Bei einer Vollzeittätigkeit ist man durchschnittlich 44 Stunden pro Woche beschäftigt, dazu kommen Wegezeiten. Da komme ich in Schwierigkeiten, wenn ich zusätzlich noch Carearbeit verrichten muss. Das heißt, wir müssen die Lohnarbeit anders verteilen.

In der Praxis liegen die Arbeitszeitwünsche von Männern und Frauen gar nicht so weit auseinander. Zwei Drittel der Männer wünschen sich, Lohn- und Sorgearbeitszeit gerechter zu verteilen. Das bedeutet aber, dass Männer ihre Lohnarbeitszeit reduzieren müssen – und da gibt es bisher zu viele strukturelle Hürden, sowohl bei Jobwahl, unterschiedlicher Bezahlung und sozialen Erwartungen. In der Praxis liegt der Umsetzungsgrad dieser gerechteren Verteilung nur bei etwa zehn bis 20 Prozent.

Um das zu ändern, müssen wir früh ansetzen. Jede:r muss sich hinterfragen: Wie wurde ich formal und inoffiziell sozialisiert? Welche Erwartungen, Rollenbilder und Verbote habe ich durch meine eigenen Eltern, Lehrer:innen und andere Vorbildpersonen sowie durch die Medien mit auf den Weg bekommen? Denken Sie mal nach: Welcher Kommissar im deutschen Fernsehen hat schon eine funktionierende Familie?

Wenn ich ein gleichberechtigtes Rollenbild als junger Mann nicht gelernt habe, kann ich das durchaus später noch ändern – ich muss mir aber bewusst sein, wie tief diese Prägungen sind. Das eigene Vaterbild, also die Vorstellung, wie man selbst als Vater sein möchte, entsteht schon mit zwölf bis 14 Jahren.

Wichtig ist, dass die großen Entscheidungen und Richtungen vor der Geburt besprochen werden müssen. Da geht es um die Aufteilung der Elternzeit, die wichtige Weichen für spätere strukturelle Schieflagen legen kann. Man sollte diese Anlässe nutzen, um eine Vorstellung von partnerschaftlicher Sorgearbeit zu entwickeln. Das erfordert viel Konsequenz, denn oft arbeiten Männer zu besseren Konditionen und behalten deshalb ihren Vollzeitjob bei.

Auf Mikroebene besteht der Mental Load aus vielen kleinen Praktiken, die sich eingeschliffen haben. Allerdings sollte man neben der mentalen auch die finanzielle Belastung berücksichtigen, also den Financial Load. Der liegt meisten bei den Männern, die das Gefühl haben: ,Ich muss dafür sorgen, dass der Laden läuft’. Auch dort braucht es eine Umverteilung und die beiden Partner müssen sich gegenseitig zur Verantwortung ziehen: Der Mann hat Anspruch darauf, dass seine Partnerin ihre Stunden erhöht, die wiederum darf bei Bedarf anmahnen, dass er seine Haushaltsaufgaben übernimmt. Das muss von Anfang an eingeübt werden und es reicht nicht, das ein Mal anzusprechen.

Ein Problem bei solch einem Prozess ist das schlechte Gewissen der Väter, wenn sie merken, dass sie doch nicht so viel Carearbeit erledigen wie vereinbart oder dass sie es nicht so gut machen, wie es von sich selbst erwarten oder die Partnerin es erwartet. Je länger so etwas andauert und nicht angesprochen wird, desto stärker werden die Vermeidungsstrategien, oft springt dann die Partnerin wieder ein.

Man weiß: ,Wenn ich das jetzt anspreche, dann gibt es ein Gewitter’. Das kann aber durchaus reinigend sein. Bei diesen Konflikten kann Hilfe von außen nützlich sein. Es muss ja nicht immer die formelle Beratung sein, es kann auch ein guter gemeinsamer Freund helfen. Überhaupt sind Gruppenangebote und Vernetzung unter Vätern wichtig: So bekommt man als Mann neue Rollenvorbilder, Alternativen zu den althergebrachten Prägungen. In Geburtsvorbereitungskursen, an denen auch andere Männer teilnehmen, in Vater-Kind-Cafés und Vätergruppen kann man Fragen stellen und lernen, was es heißt, bei der Sorgearbeit Dinge mitzudenken.

Wichtig ist, dass man von Anfang an bewusste Entscheidungen trifft und die richtigen Weichen stellt. Oft bleiben die Mütter zu Hause, um Stress rauszunehmen. Das hat aber weitreichende Folgen für die Aufgabenverteilung, die spätere Laufbahn der Mutter und eben das Verantwortungsgefühl für Sorgearbeit und Finanzielles. Die Konsequenzen sind vielen Menschen nicht bewusst.“

Foto: Marcus Richter Cammarata Schlecht verteilt. 52,4 Prozent beträgt der sogenannte Gender Care Gap. Das heißt, dass Frauen durchschnittlich über die Hälfte mehr an Zeit für Sorgearbeit aufbringen als Männer. Konkret bedeutet das: Frauen leisten 87 Minuten mehr Sorgearbeitszeit als Männer pro Tag. Fotos: freepik (7); Montage: Tagesspiegel

Foto: promo Nelles