Schwedt/Potsdam - Es gibt neben Corona doch noch andere Themen, die bewegen: Fast 35 000 Menschen haben innerhalb kürzester Zeit eine Petition unterschrieben, um zu verhindern, dass Rehe, Hirsche und andere Tiere im Nationalpark Unteres Odertal an den Schutzzäunen gegen die Verbreitung der Afrikanischen Schweinepest (ASP) ertrinken oder sich tödlich verletzen. Zu den Initiatoren der Petition gehört neben Hans Joachim Richter auch Andrea Zillmann. Sie wohnt an der polnischen Grenze und war entsetzt, als sie vor drei Wochen Fotos sah, die Bekannte am Neujahrstag im Nationalpark aufgenommen hatten. „Ich dachte nur, da muss man doch etwas dagegen tun“, sagt sie: „Was die Bilder und Videos zeigten, war zu grausam.“

Viele Fotos kursierten in den vergangenen Wochen im Internet: Darauf zu sehen waren Kadaver von ertrunkenen Rehen, die im Wasser trieben, entkräftete oder verwundete Rehe, die sich beim missglückten Versuch, den Zaun zu überwinden, verletzt hatten. Der Deutsche Tierschutzbund und sein Landesverband Brandenburg haben deshalb in dieser Woche ein sofortiges Handeln der Landesregierung gefordert, um die Situation zu verbessern: Wie berichtet, gab es in der Vergangenheit entlang der deutsch-polnischen Grenze bereits mehrere ASP-Ausbrüche. Um deren Weiterverbreitung durch aus Polen kommende infizierte Wildschweine zu verhindern, wurden auf deutscher Seite der Grenze von Mecklenburg-Vorpommern über Brandenburg bis Sachsen sogenannte ASP-Schutzzäune errichtet. Die schließen im Gebiet des Nationalparks Unteres Odertal allerdings komplett die Flutungspolder ein: Flächen von insgesamt 4800 Hektar, die im Winter und bei Hochwasser überschwemmt werden. Zum Jahreswechsel etwa war das wegen der Eisbildung auf der Oder der Fall. „Da wurden die ASP-Schutzzäune für Rehe und andere Tiere zur tödlichen Falle“, sagt Andrea Zillmann. Sie hat sich an alle möglichen Stellen wie etwa Polizei, Feuerwehr, Technisches Hilfswerk und ASP-Krisenstab gewandt und um Hilfe gebeten – vergebens.

„Das kann doch nicht sein, dass wir nichts tun können und ohnmächtig zusehen müssen, wie die Rehe vor unseren Augen sterben“, sagt sie. Und kritisiert genau wie der Deutsche Tierschutzbund, dass alle Anfragen und selbst zahlreiche Medienberichte bei den zuständigen Behörden im Land und in der Uckermark offenbar keine Wirkung zeigten. Und dies angesichts einer erneuten Zuspitzung der Situation durch Überschwemmungen.

Im brandenburgischen Verbraucherschutzministerium weist man die Kritik zurück: „Es stimmt einfach nicht, dass sich die Lage zuspitzt und dass der Landkreis nichts getan hat“, sagt Sprecher Dominik Lenz: „Im Gegenteil: Der Landkreis hat sehr schnell reagiert.“

Tatsächlich hatte der Landkreis als Sofortmaßnahme veranlasst, die im Zaun vorhandenen Tore tagsüber zeitweilig zu öffnen und die Zäune täglich zu kontrollieren, um gefährdeten Tieren zu helfen. Auch habe man begonnen, im Bereich zwischen dem Querdeich Stützkow und Schwedt auf der Kanalseite insgesamt zwölf Durchlässe zu schaffen und an anderen Stellen Zaunabschnitte um 40 Zentimeter zu verkürzen, so dass Rehe darüber springen können.

Allerdings sei klar, dass der Zaun stehen bleiben müsse, so lange seine Ursache – die ASP – nicht beseitigt sei, sagte die uckermärkische Landrätin Karina Dörk (CDU). Dazu sei man nach EU-Recht verpflichtet. Auch Verbraucherschutzministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) verteidigte den Schutzzaun als notwendige Schutzmaßnahme gegen ASP: „Das geschieht hier nicht, um irgendwelches Tierleid zu verursachen, sondern, um eine Seuche einzudämmen, die sehr gravierende Auswirkungen hat.“

Nonnemacher bezog sich dabei auf wiederholte Vorwürfe von verschiedenen Tierschutzorganisationen, wonach der Zaun lediglich den Interessen der Massentierhaltung, also der großen Schweinezuchtbetriebe, diene. Stattdessen könne man Köder mit einem längst vorhandenen Impfstoff auslegen, heißt es, und damit auch das „sinnlose Töten von Wildschweinen in den Schutzzonen“ beenden.

So einfach sei das allerdings nicht, sagt hingegen Sandra Blome, die Leiterin des Nationalen Referenzlabors für Afrikanische Schweinepest am Friedrich-Loeffler-Institut: „Tatsache ist, dass es trotz jahrelanger Forschungen nur einen Impfstoff gegen die sogenannte Klassische Schweinepest gibt, aber nicht gegen die Afrikanische. Und die Wildschweine in den Schutzzonen müssen leider sterben, um den Tod von sehr, sehr vielen Artgenossen zu verhindern.“

Deshalb könne man auch nicht, wie von manchen gefordert, die Tierseuche ohne Gegenmaßnahmen einfach „durchlaufen“ lassen. Das würde für Zigtausende von Wildschweinen großes Tierleid bedeuten, sagt die Wissenschaftlerin. Und darum gehe es ja bei der Seuchenbekämpfung auch. Die großen Schweinemastanlagen seien im übrigen von der in 90 Prozent der Fälle tödlichen Krankheit sehr viel weniger bedroht, da sie oft sehr strenge Sicherheitsvorschriften und auch teure, eigene Schutzzäune hätten. „ASP trifft eben gerade die Biolandwirte und kleinen Schweinezüchter mit Auslaufhaltung“, sagt Sandra Blome.

Dass die Schutzzäune generell notwendig sind, findet auch Dirk Treichel, der Leiter des Nationalpark Unteres Odertal. Allerdings müssten sie in seinem Bereich versetzt werden, um nicht sehr vielen Tieren ihr Siedlungsgebiet zu zerschneiden und sie bei Überschwemmungen vor dem Ertrinken zu bewahren. Um eine Lösung dieses Problems komme man wohl nicht herum, heißt es bei den zuständigen Behörden. Derweil prüft sowohl der Deutsche Tierschutzbund als auch die Tierschutzorganisation Peta nach Informationen des Tagesspiegels rechtliche Schritte, sprich: Strafanzeigen gegen die Verantwortlichen.

Andrea Zillmann würde es schon reichen, wenn der Zaun aus dem Nationalpark verlegt und den Rehen auf Dauer geholfen wird. Und wenn ihre Petition dazu führt, dass sich Landtag möglicherweise in Form eines Untersuchungsausschusses mit der Thematik beschäftigt. Denn eines sei klar: Die Verantwortlichen waren unter anderem vom Leiter des Nationalparks gewarnt worden, welche Folgen der Zaun bei der jährlichen Flutung der Polder für die Tiere haben würde. „Die können jetzt nicht so tun, als sei das Wasser völlig überraschend gekommen“, sagt Zillmann. Und sie ist sich sicher: „Hätte es keine Berichterstattung und öffentlichen Druck gegeben, hätten die gar nichts unternommen.“

Kein Entkommen. Im Naturpark Unteres Odertal sind die Flutungspolder eingezäunt, damit sich die Afrikanische Schweinepest nicht ausbreitet. Doch bei Hochwasser können auch Rehe das Gebiet nicht mehr verlassen viele Tiere ertrinken an den Schutzzäunen. Foto: Patrick Pleul/dpa