Als Max Liebermann 1884 auf dem Dach seines Hauses neben dem Brandenburger Tor ein gläsernes Atelier platzieren wollte, gab es Widerstand von höchster Stelle. Diese Form von Eigensinn wollte sich der Kaiser nicht bieten lassen, dem Liebermanns Malerei ohnehin missfiel. Zuletzt bekam der Künstler seinen Willen, und das Wohnhaus wurde rundum sichtbar zum Ort der Kunst.

Davon ist heute nicht mehr viel zu sehen. Beim Wiederaufbau in den 90ern kam stattdessen ein langweiliges drittes Geschoss obendrauf, in dem heute die Kulturstiftung der Berliner Sparkasse logiert. Ein-, zweimal im Jahr bittet die Stiftung Brandenburger Tor Künstler im Rahmen der Reihe „im Atelier Liebermann“, hier ihre eigene Arbeit zu reflektieren.

Die Kölner Künstlerin Monika Bartholomé hat die Einladung wörtlich genommen, wie der Untertitel „unter einem Dach“ verrät (bis 14.1.). Sie ist tatsächlich eingezogen und hat ihr Atelier für vier Wochen ins Liebermann-Haus verlegt. Die Zeichnerin nahm die Schwingungen des Ortes auf und schuf eine 27 Meter lange „Raumzeichnung“, die sich der Besucher laufend erschließen muss.

Ein Stadtplan klappt auf

Auf überlappenden Papierbahnen von der Decke bis zum Boden entstand in Tusche eine komplexe Lineatur, die Dächer, Straßenfluchten, gestaffelte Räume andeutet. Wie historische Schichten legen sie sich übereinander, der Blick klappt von draußen nach drinnen. Könnte dies die Perspektive auf den Boulevard sein? Sind hier die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs skizziert? Verweisen die schwarzen Zacken auf die Mauerzeit? Ein imaginierter Stadtplan mit verschiedenen Zeitebenen eröffnet sich.

Monika Bartholomé ist eine Meisterin darin, mit wenigen Strichen etwas anzudeuten, ein Gesicht, eine Rückenfigur, eine Schale, und gleichzeitig Brücken von einer Zeichnung zur anderen zu schlagen. Die Überblickschau führt verschiedene Werkgruppen zusammen und zeigt sie als begnadete Netzwerkerin: nicht nur zwischen eigenen Blättern, die sie an der Wand oder in Schachteln zusammenfügt, sondern auch zwischen Kollegen, die von ihr zu gemeinsamen Editionen eingeladen werden.

In ihrem „Museum für Zeichnung“ stiftet Monika Bartholomé sogar Beziehungen zwischen künstlerischen Ausdrucksformen über Zeiten hinweg. Postkartengroß auf Pappe reproduziert, ordnet sie darin nonchalant Beispiele aus der Kunstgeschichte, Graffiti, Körperzeichnungen, Tattoos auf Paneelen zu neuen Gruppierungen.

Ähnlich knapp wie ihre Bildsprache, die voller Hintergründigkeit und Humor steckt, gibt Monika Bartholomé nur Anstöße. Die Geschichten dazu muss sich jeder selber erzählen: von dem mit geschlossenen Augen lächelnden Gesicht, das wie eine Kugel von zwei Händen gehalten wird, oder den beiden Linien, die einen Trichter bilden, aber ebenso gut den sich trennenden Weg zweier Personen meinen können.

Das alles wirkt heiter, spielerisch und hat doch eine dunkle Grundierung, die im Schwarz der Tusche an die Oberfläche kommt. So geht die Künstlerin auch auf die Tragik des Liebermann-Hauses ein, auf das Schicksal von Martha Liebermann, die sich 1943 das Leben nahm, um der Deportation zu entkommen. In einem separaten Raum sind in einem Schaukasten ihre letzten Wochen rekonstruiert. Gegenüber hängt von Monika Bartholomé eine schattenhafte Figur, die von schwarzen Linien bedrängt wird, „Martha“ lautet knapp der Titel.