Fünf Jahre lang hat Ingar Krauss immer wieder gemeine Zuckerrüben (Beta vulgaris) vor seine Kamera gesetzt: kopfüber, um ihnen Halt zu geben, auf einem kleinen Podest mit schwarzem Hintergrund. 36 dieser schwarz-weißen Aufnahmen versammelt nun als lose, großformatige Tafelbilder eine fein gestaltete Kassette, der ein Plakat und ein kluger Essay von Eugen Blume, langjähriger Direktor des Hamburger Bahnhofs, beiliegen (Hartmann Books, 45 Euro). Sind die konsequent analog erstellten und vorzüglich gedruckten Aufnahmen nun Naturstudien? Oder sind es Stillleben einer für Nahrung und Genuss unentbehrlichen, bislang künstlerisch kaum gewürdigten Feldfrucht?

Krauss konzentriert sich völlig auf die merkwürdigen Ausformungen der Rübengewächse, die zur Herbstzeit tonnenweise geerntet werden. Alle Erdreste sind abgewaschen, das Blattwerk und die Wurzelfäden abgeschnitten. Naturschönheit lacht den Betrachter trotzdem nicht an, und keinem holländischen Tafelmaler des 17. und 18. Jahrhunderts wäre es wohl in den Sinn gekommen, eine Beta vulgaris in eine Apotheose satter Lebensfreude einzufügen, zudem man den verborgenen Genusswert der Früchte damals noch gar nicht kannte.

Der Künstler, der im Oderbruch und somit selbst zwischen Feldern voll Zuckerrüben lebt, ist auf seine Weise auch ein Alchimist und hat die von ihm für Wert befundenen Rübenexemplare in fotografische Kunstwerke, wie Blume es nennt, „transformiert“, die von ihrer rohen Gestaltabstrahieren. Nun erst kann der Betrachter die zuweilen anthropomorph, mal animalisch anmutenden Gebilde genauer ins Auge fassen. Das schräg einfallende Tageslicht modelliert die Formen und betont ihre Plastizität. Die Fotografien provozieren ein kaltes Interesse an dieser Frucht, die keinesfalls unseren Augen schmeicheln will. Man darf einfach nur staunen und vielleicht das Gefühl haben, dem Werden der Natur ein Stück näher gekommen zu sein. Denn hinter diesem unterschiedlich ausgefallenen Wachstum scheint eine geheime Kraft zu wirken, die der Fotograf würdigt. Fast sieht es so aus, als wollte Krauss den wunderbaren Stillleben der Malerei einen neuen Aspekt hinzufügen, dessen Reiz aber in dem auf den ersten Blick befremdlichen Äußeren liegt. (hjr)