Humor darf alles, heißt es. Irgendwann im Jahr 2009 steht Louis C.K. auf der Bühne eines New Yorker Comedy-Clubs. Hinter ihm ein dunkelblauer Samtvorhang, wie er in solchen Lokalen Standard ist. Vor ihm ein gut gelauntes Publikum, C.K. hat es mit Witzen über Selbstmord und Hitler aufgewärmt.

Jetzt legt er einen ernsten Gesichtsausdruck auf. Nein, natürlich sollte man niemanden vergewaltigen, sagt er. „Außer, man hat einen guten Grund dazu.“ Das Publikum lacht laut, C.K. hält kurz inne. „Zum Beispiel, wenn man jemanden vögeln will, der einen nicht ranlässt.“ Der Saal kann sich nicht mehr halten. Humor darf alles?

Caroline Clifford deutet ein Nicken an. „Grundsätzlich schon“, sagt sie und setzt zu einer längeren Denkpause an. Die 40-Jährige trägt Cargo-Shorts und ein Shirt der US-Indie-Band The Magnetic Fields. Sie ist vom Sport gekommen, Klettern. Nun wandern ihre Augen unablässig über Tisch und Wand eines Cafés in Mitte, wie auf der Suche nach einem Fixpunkt, einer Antwort. „Wenn man gewisse Grenzen überschreitet, muss der Witz allerdings richtig gut sein“, sagt sie.

Aber wann ist ein Witz gut und wann nicht? Ist es eine heftige, aber gute Pointe, wenn die österreichische Komikerin Lisa Eckhart Metoo-Vorwürfe gegen Harvey Weinstein, Woody Allen und Roman Polanski mit deren jüdischem Glauben und finanzieller Macht in Verbindung bringt? Oder reproduziert sie damit gefährliche antisemitische Klischees?

Mit Witzen kennt sich Clifford besser aus als die meisten. Vor mehr als einem Jahrzehnt kam sie aus Großbritannien nach Berlin, um eine Karriere als Musikerin zu verfolgen. Am Ende wurde sie Comedian. Mit der Zeit entwickelte sie sich zur festen Größe in der Stand-Up-Szene der Stadt, gründete verschiedene Comedy-Formate, wie etwa den englischsprachigen Abend „We Are Not Gemüsed“, der in Zeiten vor Corona jeden Donnerstag in der Neuköllner Bar „Sameheads“ stattfand.

Seit einigen Jahren bringt sie zusammen mit Kollege Paul Salamone aufstrebenden Komikern und solchen, die es werden wollen in ihrer Berlin Stand-Up-School bei, wie man witzig ist. Auch unter ihren Schülern wollten einige wissentlich die Grenzen des guten Geschmacks durchbrechen, sagt Clifford. „Denen mache ich klar, dass es einen entscheidenden Unterschied zwischen Derbheit und schwarzem, aber gutem Humor gibt. Nämlich, ob hinter der Überschreitung ein subversives Moment steckt.“

Dieser Balanceakt zwischen Derbheit und Subversion, Spaß und Ernst, fiel der Comedy in den vergangenen Jahren immer schwerer. Das liegt daran, dass sich der gesellschaftliche Umgang mit sensiblen Themen gewandelt hat. Es ist nicht mehr möglich, sich über Minderheiten, sexuelle Orientierung oder Klassenfragen lustig zu machen, ohne postwendend die Quittung in den Sozialen Medien zu bekommen. Ein falscher Witz und der Shitstorm tobt. Meist gerechtfertigt, wie Clifford anmerkt.

Das Problem: Humor braucht ein Subjekt. Ohne Person keine Pointe, außer es geht um das Wetter. Sicher, man kann sich über die Politik oder die Behörden lustig machen. Aber auch dahinter stehen Menschen. Abgesehen davon hat Humor vom Stammtisch bis zur Samstagabendshow eine lange Tradition darin, auf Minderheiten abzuzielen. Ostfriesen und Blondinen sind noch die harmlosesten Beispiele.

Darüber hinaus wurde aus Spaß in den letzten Jahren oft bitterer Ernst. Louis C.K. etwa, damals schon einer der erfolgreichsten Comedians überhaupt, hätten viele 2009 noch ohne zu zögern auf die subversive Seite des Spektrums gepackt. Legt C.K. mit seiner scharfen Pointe nicht den laxen gesellschaftlichen Umgang mit sexualisierter Gewalt radikal frei?

Im Herbst 2017 wurde öffentlich, dass C.K. mehrere Frauen sexuell belästigt, ungefragt vor ihnen masturbiert haben soll, teils in Persona, teils am Telefon. Eine der Frauen sagte aus, nach dem Vorfall ihre Karriere in der Comedy-Welt aufgegeben zu haben. Das subversive Moment? Vorbei, weil klar wurde, dass C.K. wahrscheinlich das Arschloch ist, das bis dato seine Rolle auf der Bühne zu sein schien.

Mit anderen Komikern lief es ähnlich. Aziz Ansari, Hauptdarsteller der beliebten Netflix-Serie „Master of None“, wurde Vergewaltigung vorgeworfen, aktuell sieht sich der Comedian und Schauspieler Bryan Callen schweren Vorwürfen von vier Frauen ausgesetzt. Es geht um herablassende Kommentare, Machtmissbrauch - und Vergewaltigung.

All diese Fälle lassen sich grob der Metoo-Bewegung zuordnen, in deren Rahmen Frauen sich endlich trauen konnten, ihre Stimme auch gegen Übergriffe von Prominenten und deren mächtigen Netzwerke zu erheben. Ihre Erfahrungen zu teilen, Gehör zu finden, so etwas wie Gerechtigkeit. In der Folge befindet sich die Comedy-Welt, wie auch die Film- oder Musikbranche in einem Prozess der kollektiven Selbstfindung. Welche Strukturen haben wir aufgebaut, was können wir besser machen? Und warum geht das so verdammt langsam?

Mit einem Unterschied: Comedy muss dabei weiterhin witzig sein. Geht das überhaupt? Kann man lustig sein und trotzdem sensibel?

„So wie Louis C.K. sollte man es nicht machen“, sagt Clifford. Der hatte 2019 in einem New Yorker Club sein Comeback gegeben und dabei die Chance, einen echten Diskurs über Sex und Machtverhältnisse anzustoßen, mit Anlauf vergeigt. Stattdessen machte er Witze über politische Korrektheit, Transmenschen, die Opfer der Schießerei in einer Schule in Florida, Schwarze, große Penisse, Analverkehr und Lippenstift. Er blieb sich treu, könnte man sagen. Aber die Zeiten nicht.

Das Publikum lachte sich trotzdem schlapp - zumindest ein Teil. Zwei Frauen berichteten nach der Show dem US-Magazin Vulture, dass die Männer im Raum teils „ziemlich aggressiv“ gelacht, die Frauen hingegen konsterniert geschwiegen hätten.

Clifford rollt mit den Augen, wenn man sie auf dieses Comeback anspricht. „Es ist doch echt nicht so schwer“, sagt sie. „Wenn ich einen heftigen Witz mache, gibt es eine Regel: Es müssen verdammt noch mal alle lachen. Ein bisschen Gekicher reicht nicht“, sagt sie. Das sei im Grunde schon immer so gewesen, heutzutage aber noch wichtiger. Wenn man einen Raum teile, sagt sie, also nur eine Fraktion lacht und die andere nicht, spalte man im Kleinen die Gesellschaft.

„Wenn man unbedingt edgy sein will, bitte. Dann aber richtig.“ Die möglichen Konsequenzen müsse man ertragen.

Mit Lachern beschäftigt sich auch Stephan Denzer beruflich. Der Mittfünfziger ruft postwendend zurück. Das Thema ist ihm wichtig. Gut 25 Jahre hat Denzer in Mainz beim ZDF gearbeitet, als Spartenchef erfand er mit seinem Team beliebte Satireformate wie „Die Anstalt“ oder die „Heute Show“, räumte etliche Preise ab. Das Medienmagazin DWDL nannte ihn ein „Comedy-Genie“. Seit vergangenem Jahr arbeitet er als Chef der Mainzer Kleinkunstbühne „Unterhaus“.

„Comedy hat sich seit den Neunzigern deutlich verändert“, sagt Denzer am Telefon. „In Formaten wie der Wochenshow' stand das Lachen, der pure Gag im Vordergrund. Das ist heute nicht mehr so.“ Lachte das Land vor gut 25 Jahren noch laut über Kalauer wie „Kentucky schreit Ficken“, schmunzelt man heute eher verlegen über die politischen Witze der „Heute Show“, die gut und gerne eine halbe Sendung mit den Irrungen und Wirrungen von Andreas Scheuers Arbeit als Verkehrsminister füllt.

Lachen scheint kein Selbstzweck mehr zu sein, keine willkommene Ablenkung. Sondern zumindest im Mainstream einen konkreten Zweck zu verfolgen: Die Entlarvung des Wahnsinns des politischen Alltags. Gelacht wird aus Erkenntnis, nicht mehr aus Lust.

„Das ist kein Wunder in Zeiten, in denen einige Länder von Satirefiguren regiert werden“, sagt Denzer. Donald Trump, Boris Johnson, Jair Bolsonaro. „Da verschiebt sich natürlich die Rolle von Comedy.“ Er selbst bedauert das. Einerseits, sagt er. Das pure Lachen fehlt ihm, wie zum Beweis zitiert er John Cleese, seinerzeit Mitglied des britischen Komikertruppe Monty Python: „A wonderful thing about true laughter is that it just destroys any kind of system of dividing people“ - echtes Lachen mache jedem spalterischen System den Garaus.

Denzer legt wert darauf, dass das nur die eine Seite sei. Auf der anderen begrüßt er es, dass Comedians durch den Druck der Öffentlichkeit mehr an sich und ihrem Material arbeiten müssen: „Es ist schön zu sehen, wie viele Leute beides hinbekommen: gute Haltung und guten Witz.“

Genau das scheinen die Menschen zu wollen. Comedy und Satire florieren im deutschen Fernsehen, die von Denzer entwickelten Formate sind längst zu Institutionen geworden, immer wieder werden neue Sendungen etabliert.

Comedy nimmt also weiterhin eine wichtige Rolle im Leben der Menschen ein. Das ist im Grunde folgerichtig, schließlich leben wir in verwirrenden und wenig lustigen Zeiten. Rapide wachsende technologische Möglichkeiten treffen auf politische Unmöglichkeiten. Die Globalisierung stellt die Menschen vor Rätsel, die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich immer weiter. Sind wir an einem Punkt angekommen, an dem nur noch Lachen hilft?

Schon Sigmund Freud beschrieb Humor als Mechanismus, um die Schwierigkeiten des Lebens zu überwinden. Für ihn diente das Lachen der Lockerung von psychologischen Spannungen. Das war Anfang des 20. Jahrhunderts. Aber können wir gesellschaftliche Spannungen auch heute noch mit Lachen lösen? Und sind kathartische Witze in Zeiten von Cancel Culture überhaupt noch möglich? Zeiten also, in denen meist im Internet zum systemischen Boykott von Menschen aufgerufen wird, deren Aussagen als beleidigend oder diskriminierend gelesen werden können?

„Das ist totaler Quatsch“, sagt Kate Cheka. Sie hat ihren Laptop auf das Bett ihres Kinderzimmers gestellt. Cheka lebt eigentlich in Berlin, gerade ist sie zu Besuch bei ihren Eltern in der Nähe des Städtchens Bath zweieinhalb Autostunden westlich von London.

Die 30-jährige Britin gehört zu den wenigen Schwarzen Frauen in der Berliner Comedyszene und gilt als nicht gerade zurückhaltend, wenn es um politische Positionen geht. Als es in einer Facebook-Gruppe um einen geplanten Auftritt von Louis C.K. in der Berliner Mercedes-Benz-Arena ging, wurde Cheka deutlich, erzählt Clifford: Man müsse schon nicht ganz richtig im Kopf sein, kommentierte Cheka, wenn man überhaupt darüber nachdenke, dort hinzugehen.

„Die Leute denken immer, dass sie durch Cancel Culture zensiert würden, aber das stimmt einfach nicht“, sagt Cheka heute. Stattdessen hätten sich die Teilnehmer an öffentlichen Diskussionen verändert. Wo Austausch darüber, was geht und was nicht, früher in relativ kleinen und homogenen Gruppen stattgefunden hätte, könnten durch das Internet nun viel mehr verschiedene Menschen ihre Meinungen und Gefühle zu gewissen Themen kundtun. „Die Interessen und Emotionen dieser Menschen gab es schon lange, nur jetzt werden sie eben wahrgenommen“, sagt Cheka. Das sei das Gegenteil von Zensur.

Ähnlich verhalte es sich auch in der Comedy. „Ich denke nicht, dass sich Humor oder seine Rolle in der Gesellschaft verändert hat“, sagt sie. Es gebe weiterhin Raum für dumme Witze über Dating oder Sex, auch kathartisch wirke Humor noch. „Das verwechseln viele Leute, wenn sie sich darüber beschweren, dass ihr Publikum immer sensibler wird“, sagt Cheka. „Es wird nicht sensibler, sondern schlicht diverser.“

Sie selbst kenne einige Schwarze Menschen, die sich nie Comedy-Shows angeschaut hätten, sagt Cheka. Ähnliches gelte für schwule oder lesbische Menschen. „Weil sie am Ende die waren, über die gewitzelt wurde - und das noch nicht mal wirklich gut.“

Caroline Clifford bestätigt das. Sie selbst hat Witze über Sex zwischen Frauen gerissen, bevor sie sich mit 34 als lesbisch outete. „Rückblickend waren die ziemlich mies. Aber sie passten in die Zeit, die Leute fanden sie super.“ Das sei heute nicht mehr so einfach, sagt Cheka. „Heute sitzen zunehmend Angehörige von marginalisierten Gruppen im Publikum. Also kann sich kein weißer Mann mehr einfach so hinstellen und Witze über sie machen.“

Friedemann Weise begrüßt das. Er hat Jahre damit verbracht, vor meist weißem und ziemlich gleichem Publikum Satire zu machen. Aber wenn er ehrlich ist, hat sich daran nicht viel geändert. „Früher hieß es bei Mixshows im Backstage noch ironisch: Wer ist heute der Ausländer?' Das ist zum Glück schon bunter geworden. Auch was die Geschlechterverteilung angeht“, sagt er. Trotzdem gebe es in Deutschland erheblichen Nachholbedarf, was Diversität in der Szene angeht.

Weise operiert auf einem anderen Level als Cheka oder Clifford. Er selbst sieht sich zwar nicht als große Nummer, aber er ist einem breiteren Publikum etwa durch Auftritte bei der „Heute Show“ bekannt, Teil des Spaß-Mainstreams. Heute sitzt er in seiner Neubauwohnung vor dem Balkon, auf dem Boden hinter ihm liegen Bücher, in der Ecke steht eine Gitarre.

„Provokation um der Provokation willen finde ich manchmal auch legitim und lustig“, sagt Weise. „Was ich aber nicht will, ist aus Unachtsamkeit Leute zu verletzen, die ich gar nicht verletzen will.“ Seine Witze spricht er deshalb meist mit Freunden durch, lässt auch mal einen Gag bleiben.

Cancel Culture sieht er dennoch kritisch. „Mich stört die Willkür und Vehemenz, die sich oft dahinter verbirgt“, sagt er. „Es wird nicht wirklich darüber nachgedacht, wie die betreffende Aussage gemeint war, in welchem Kontext sie stand.“ Es gebe dann nur eins: draufhauen.

„Es hängt maßgeblich davon ab, wer was in welchem Kontext sagt. Dann geht weiterhin vieles“, sagt Cheka. Clifford geht sogar noch einen Schritt weiter. Wenn ein alter weißer Mann die Rolle des Rüpels spielt, der mit den neuen Gegebenheiten nichts anfangen kann, könne das gut und witzig sein, sagt sie: „Dann hat das subversives Potenzial.“

Auch Weise möchte nicht so verstanden werden, als lehne er die Diskussion um beleidigende und diskriminierende Aussagen ab. Auch den Humor sieht er dadurch nicht in Gefahr. Im Gegenteil. Wie Denzer begrüßt er den Zwang, permanent und besser über Themen nachdenken zu müssen. „Das stärkt eigentlich nur eine alte Regel der Branche, die ich sehr wichtig finde“, sagt er.

„Dass man mit Humor niemals von oben nach unten treten sollte - sondern umgekehrt.“ Denn auch das sei Humor: Eine Waffe der Kleinen gegen die Großen.

Im Ernst. Comedian Louis C. K. soll Frauen sexuell belästigt haben. Kabarettistin Lisa Eckhart wird Antisemitismus vorgeworfen. Caroline Clifford sagt: „Wenn ich einen heftigen Witz mache, müssen verdammt noch mal alle lachen.“

Der Grenzwert. Humor hat eine lange Tradition darin, auf Minderheiten abzuzielen. Doch heute reicht ein falscher Witz und der Shitstorm tobt. Illustration: iStock, Montage: Schneider; Fotos: imago/Everett; D. Karmann/ dpa; A. B. Andrésdóttir