Nach dem „Anschwitzen“ im Kraftraum mit Kunstrasen, Fitnessgeräten und Flachbildschirm üben die Damen des FC Bayern München noch ein paar Standards auf einem der glatt rasierten Trainingsplätze. Lina Magull zwirbelt den Ball von der Eckfahne in den Strafraum, wo schon Sydney Lohmann und Lea Schüller lauern. Das Trio gehört genau wie Teamkollegin Klara Bühl zum DFB-Aufgebot für die seit diesem Donnerstag laufende Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland. Vier Trainer beobachten, verschieben, korrigieren.

In den Duschen der Mannschaftskabine steht eine hölzerne Kältetonne, im Nebenraum eine große Team-Sauna. In einem der Behandlungsräume warten an diesem Freitag Mitte Mai schon die Physiotherapeuten auf die Spielerinnen, bevor das Gastro-Team von Starkoch Alfons Schuhbeck Mittagessen in der Kantine des Bayern Campus im Münchener Norden serviert.

550 Autokilometer nordöstlich, aber ein Fußballuniversum entfernt, sitzt Dirk Heinrichs auf einer Bierbank und ärgert sich. Der Trainer von Turbine Potsdam hat gerade das Training seiner Mannschaft beendet, neben dem Platz spielt eine Familie Wikingerschach. „Die Rasensprenger funktionieren nicht, der Platz ist viel zu trocken und unsere Spielerinnen bekommen Knie- und Rückenprobleme“, klagt Heinrichs. Turbine ist auf die Infrastruktur der Stadt Potsdam angewiesen, doch die ist alles andere als bundesligatauglich.

Den Platz musste sich das Team auch schon mit einer Rugbymannschaft teilen. Einen Kraftraum sucht man hier vergeblich. Viele Spielerinnen hätten den Verein „wegen der schlechten Rahmenbedingungen schon wieder verlassen“, sagt Heinrichs. „Die Bayern setzen sich in den Flieger, und wir setzen uns in den Bus. Die Bedingungen sind für den Arsch.“

Meisterschaft in Tracht, Tristesse nach Abstieg

Zwei Wochen später fegen die Münchnerinnen das Team von Heinrichs mit 11:1 vom Platz. Gemeinsam mit den Herren feiern sie am 28. Mai die Deutsche Meisterschaft in Tracht auf dem Münchener Rathausbalkon. Turbine Potsdam, einer der erfolg- und traditionsreichsten Frauenfußball-Vereine in Deutschland und Europa, steigt ab. Kaum jemand glaubt daran, dass man sie wieder oben sehen wird.

Jubel hier, Frust dort. Der Kontrast zwischen Bayern und Potsdam könnte größer nicht sein. Zugleich ist er sinnbildlich für einen Wandel, der sich im Frauenfußball gerade im Vollsprint vollzieht. Heute dominieren die erste Liga Vereine wie Bayern München, VfL Wolfsburg, Eintracht Frankfurt, die TSG Hoffenheim und vielleicht schon bald Red Bull Leipzig, die aus der zweiten Liga aufgestiegen sind. Alles Namen, die aus dem Männerfußball bekannt sind.

Viele Bundesligavereine haben den Frauenfußball nach Jahren der Geringschätzung inzwischen für sich entdeckt. Sie unterstützen ihre Damenteams mit Geld und einer professionellen Trainingsinfrastruktur oder gliedern ehemalige Frauenfußballklubs wie den FFC Frankfurt an. Denn Frauenfußball wandelt sich immer mehr vom Kosten- zum Wirtschaftsfaktor.

Allein die Erlöse aus den TV-Rechten für die Frauenfußball-Bundesliga steigen ab Mitte dieses Jahres auf eine neue Rekordsumme von 5,1 Millionen Euro – ein Anstieg um das 16-Fache im Vergleich zur laufenden Saison. Dazu rechnet der europäische Verband Uefa für den Frauenfußball insgesamt mit einer Verdopplung der Fanzahlen von 144 auf 328 Millionen in der kommenden Dekade. Bis 2033 prognostiziert er eine Versechsfachung des kommerziellen Werts auf 686 Millionen Euro durch Einkünfte aus Medienrechten, Sponsoring und Zuschauereinnahmen.

Die wachsende Popularität spiegelt sich auch in den Einschaltquoten. Das Finale der Europameisterschaft 2022 war mit fast 18 Millionen Zuschauern das zuschauerstärkste TV-Event des Jahres. Nach dem Vorrundenaus der Männer bei der WM in Katar könnten die Frauen je nach Turnierverlauf in den kommenden Wochen neue Rekorde knacken. „Im Frauenfußball sehen wir ein großes Wachstum“, bestätigt Konstantin Druker, Operativer Leiter der Abteilung Sports Business Advisory beim Beratungsunternehmen PwC Deutschland. „Gleichzeitig sind die Einstiegshürden noch relativ gering.“ Daher interessierten sich immer mehr Unternehmen für Sponsoren- und Werbeverträge.

Den Pioniervereinen fehlen die Ressourcen

Doch Pioniervereine wie Turbine Potsdam, die einst das Gerüst der Nationalmannschaft bildeten, fehlen die Ressourcen, um mit den Profiklubs mitzuhalten. Potsdams ehemalige Titelrivalinnen vom FFC Frankfurt wären wohl auch in der Versenkung verschwunden, hätten sie nicht 2020 mit Eintracht Frankfurt fusioniert. So kommt es, dass in der nächsten Saison die SGS Essen der letzte eigenständige Frauenfußballverein der ersten Damen-Bundesliga sein wird.

Auch wenn in Potsdam Misswirtschaft und eigene Fehler zur sportlichen Krise beigetragen haben, wie Insider berichten: Der Abstieg des Vereins zeigt, wie schwer es die traditionellen Frauenfußballklubs haben, der Entwicklung standzuhalten. Zugleich ist der Wandel im Frauenfußball für viele Spielerinnen ein Segen. Endlich können sie das Zeitalter der Rumpelplätze verlassen und unter professionellen Bedingungen trainieren.

Doch wie verändert der Erfolg den Frauenfußball, dem gerade deshalb die Herzen zufliegen, weil er noch so authentisch ist? Wie können Frauenteams vom Wachstum profitieren, ohne sich zugleich von den Männerklubs und den kommerziellen Exzessen im Fußballzirkus abhängig zu machen? Und was wird aus den einstigen Pionierinnen?

Turbines Präsident Karsten Ritter-Lang zeigt sich wenig begeistert. Dass Männervereine ihre Frauenabteilungen quersubventionieren, bezeichnet er als Wettbewerbsverzerrung. „Die Spitzenspielerinnen in Bayern und in Wolfsburg verdienen teilweise doppelt so viel wie bei uns“, beklagt er. Diesen finanziellen Vorteil einzuholen, sei fast unmöglich. Mit der Ansiedlung von Tesla in Brandenburg keimte in Potsdam kurz die Hoffnung, ein finanzkräftiges Unternehmen als neuen Partner zu gewinnen. Doch vom Elektroautobauer schien es kein Interesse zu geben.

„Wir haben viele treue Sponsoren, aber das sind kleine Firmen“, sagt Ritter-Lang. Nachwuchstalente zu halten, die teilweise in Potsdam ausgebildet wurden, werde immer schwerer. Ein erfolgreicher Kader lasse sich so kaum aufbauen. „Den kleinen Vereinen wie uns läuft die Zeit davon“, fürchtet Ritter-Lang.

DFB sieht kein Ende der Investitionsbereitschaft

Der DFB räumt „eine Herausforderung für die klassischen Traditions-Frauenfußball-Standorte“ ein. Doch in der ersten Liga verteilt er Erlöse aus der zentralen Vermarktung, anders als bei den Herren, ohnehin schon gleichmäßig unter allen Vereinen. Auch wenn die Spiele von Bayern, Wolfsburg und Frankfurt die größten Reichweiten erzielen.

Davon abgesehen handelten die Vereine aber „autonom“. Das betreffe „ihre strategische sowie die wirtschaftliche und sportliche Ausrichtung“. Die Entwicklung der Liga „hin zu immer professionelleren Strukturen sowie das ernsthafte Engagement der männlichen Lizenzvereine“ wertet der DFB als Ausdruck „gestiegener Attraktivität für Sponsoren, Vereine und Medien“.

Ein Ende der wachsenden Investitionsbereitschaft im „Markt Frauenfußball“ sei nicht absehbar. Zumal ab der kommenden Saison eine Regelung der Deutschen Fußball Liga (DFL) Profivereine verpflichtet, den Frauenfußball zu fördern, indem sie „eine Frauen- und/oder Mädchenmannschaft zu offiziellen Wettbewerben“ anmelden oder eine Kooperationsvereinbarung abschließen müssen.

Wer überleben will, braucht den Männerfußball

Pia Hess, beim DFB verantwortlich für die Frauen- und Juniorinnenbundesligen, sagt: „Natürlich ist es traurig, wenn ehemalige Pionierinnen von der Bildfläche verschwinden.“ Doch dass Profivereine in den Frauenfußball investierten, zeichne sich in Spanien oder England genauso ab. Die Champions League gewann dieses Jahr der FC Barcelona. Wer international mitspielen will, muss – so scheint es – unter das Dach eines Männerbundesligisten.

In München endet das Training. Bianca Rech hat in ihr Büro im ersten Stock des Bayern Campus geladen. Die Abteilungsleiterin der Bayern-Frauen freut sich über die wachsende Professionalisierung der Liga. Zumal sie nicht ausschließt, dass sich ihre Kickerinnen finanziell bald selbst tragen können. Noch machen Frauenteams in der ersten Liga durchschnittlich ein Minus von knapp 1,5 Millionen Euro. „Doch seit der Europameisterschaft im vergangenen Sommer konnten wir die Ticketnachfrage für einige Spiele kaum decken“, berichtet Rech.

Vor allem beobachtet die 42-Jährige, dass Unternehmen sich nun explizit als Sponsoren der Frauen bewerben. Themen wie Vielfalt und Gleichberechtigung gewinnen an Bedeutung, und die Spielerinnen sind authentische Botschafterinnen. Auch PwC-Sportexperte Druker glaubt, dass ein Investment in den Frauenfußball Unternehmen „Sichtbarkeit in einem gesellschaftlich angesehenen Bereich“ verleihe. Auch hafteten an ihm nicht teils negative Assoziation anderer etablierter Sportarten.

Spielerinnen werden zu Eigenmarken

Zugleich entwickeln sich Spielerinnen durch die Übertragung von Turnieren oder Fernsehdokus wie „Born for this“ selbst zu Eigenmarken. So folgt etwa der Bayern-Verteidigerin Giulia Gwinn auf Instagram eine halbe Million Nutzer. Im März zeigte die Modezeitschrift „Vogue“ die Stürmerin Lea Schüller auf der Titelseite.

Obwohl sie mittendrin ist, staunt Rech, wie schnell sich ihr Sport in den vergangenen Jahren gewandelt hat. Die gebürtige Ahrweilerin hat selbst in der Nationalmannschaft gespielt und bis 2015 für den FC Köln in der Bundesliga. Vom Fußball allein leben konnte sie damals nicht. Inzwischen verdient eine Bundesliga-Spielerin im Schnitt 3500 Euro brutto im Monat. In Topvereinen gelten Jahresgehälter von 150.000 Euro für Nationalspielerinnen nicht als Ausnahme. Zu Auswärtsreisen geht es inzwischen auch mal in Chartermaschinen.

Umso wichtiger ist für Rech, dass die Spielerinnen die Bodenhaftung behalten. So sei es eine Selbstverständlichkeit, dass sich die Kickerinnen nach Spielen bei den Fans bedanken, Autogramme schreiben, auch mal dabei helfen, die Wasserflaschen in den Bus zu tragen. „Für uns Frauen beim FC Bayern gilt wie bei den Männern, dass wir erfolgreich sein müssen“, sagt Rech. „Aber wir wollen und werden immer unsere eigenen, kreativen Wege gehen.“

Sich ein eigenständiges Image zu schaffen, wird für den Erfolg des Frauenfußballs entscheidend sein, konstatiert auch Druker. Es gehe darum, die Potenziale der Männer-Bundesligaklubs zu nutzen, aber nicht zu einer „kleinen Kopie“ des Männerfußballs zu geraten. „Es gibt jetzt die Chance, Nischen zu besetzen, etwa mit dem Fokus auf Familienfreundlichkeit“, glaubt Druker. Es müsse gelingen, eine eigene Identität aufzubauen und dafür auch in den Vereinen eine gewisse strukturelle Unabhängigkeit von den Männern zu bewahren. Die WM könne noch mal einen deutlichen kommerziellen Wachstumsschub bedeuten.

Projekt: von der 3. in die 1. Liga in fünf Jahren

Eine eigene Marke, die sich ganz ohne finanzstarken Männerverein im Rücken oben festspielt – dieses besondere Experiment lässt sich gerade unweit von Potsdam beobachten. Nach dem Vorbild des Angel City FC in Los Angeles, an dem unter anderem die Hollywood- und Sportgrößen Natalie Portman und Serena Williams beteiligt sind, übernahmen 2022 sechs Investorinnen die Frauenmannschaft des FC Viktoria 1889 Berlin. Dazu zählen Verena Pausder, Gründerin und designierte Vorsitzende des deutschen Start-up-Verbands, und die Ex-Nationalspielerin und langjährige Potsdam-Leistungsträgerin Ariane Hingst. Innerhalb der nächsten fünf Jahre wollen die Business-Angels das Team von der dritten in die erste Liga führen. Dafür haben sie verteilt auf 87 Geldgeber rund eine Million Euro eingesammelt – eine beachtliche Summe für eine Frauenmannschaft in der Regionalliga.

Dass Erfolg im Fußball mindestens so schlecht planbar ist wie der Aufstieg vom Start-up zum Einhorn, mussten Pausder und ihre Co-Investorinnen erst kürzlich erfahren. Trotz des Rummels und ihrer ehrgeizigen Ziele verlor Viktoria die Relegationsspiele gegen den Hamburger Sportverein Ende Juni mit 0:3 und 1:3. Die Berlinerinnen werden auch kommende Saison weiter nur in der Regionalliga kicken, wo die Profivereine zur Minderheit zählen. Noch. (HB)

Transparenzhinweis: Auch Andrea Wasmuth, Geschäftsführerin der Handelsblatt Media Group, hat sich privat an Viktoria Berlin Frauen beteiligt.