Das markante Fachwerkhaus im Bahnhofsviertel hat in seiner Umgebung viel Wandel erlebt – auch deshalb ist es ein schönes Ziel mit Gästen von außerhalb. Kulinarischer Ehrgeiz war immer da. Jetzt steht mit Rainer Wolter ein Altmeister mit vielfältiger Erfahrung in der Spitzengastronomie am Herd.

Die etwas nüchterne Außenterrasse neben dem Innenministerium umhüllt derzeit ein zur Straße hin offenes weißes Festzelt mit elegant gedeckten Tischen und Pflanzen. Das Dach reicht nicht ganz bis zur Tür – bei Prasselregen schlecht für den Service. Dem Aperitif namens „Gazprom“ kann man schwer widerstehen: Die Kombination von Kir und Curacao, dunklem Rot oben und flammendem Blau unten im Glas, schürt den Appetit. Und der Wodka ist auch nicht gerade sparsam dosiert (9 Euro).

Natürlich erwartet man von einem gestandenen Küchenchef keine wilden Experimente; regionale Küche, solide ausgeführt mit kleinen kreativen Spielereien, das ist offensichtlich das Programm. Die Karte ist nicht sehr groß. Sommersalate bieten mit cremig-pikantem Dressing einen leichten Einstieg ins Menü, drei bis sechs Gänge zwischen 43,50 und 89 Euro (vegetarische drei Gänge: 38,50 Euro). Zum kräftig gewürzten Tatar vom Rind kommt gebratene Jakobsmuschel in süß-saurer Sesam-Sauce, wunderbar altmodisch mit Wildkräutern, geräuchertem Knoblauch und Perlzwiebeln auf einer großen Muschel angerichtet, dazu Zwiebel-Sellerie-Creme, von der man gern mehr gehabt hätte. Das „Wiesenhuhn“ mild, zart und saftig, dazu Waldpilze und Weichweizenrisotto, nicht nur optisch, sondern auch geschmacklich etwas blass.

Etwas mehr Pepp hatten die kleinen Stücke vom Salzwiesenlamm, kräftig im Geschmack und von toller Konsistenz. Als Gemüse wählte die Küche Erbsen und Möhren; Thymianjus fügte sich harmonisch in diesen unaufgeregten Klassiker. Wer das Gefühl hat, die achtziger Jahre seien erst gestern gewesen und hätte sie gern zurück, isst hier genau richtig. Man kann sie wirklich schmecken, die feine Küche der vielversprechenden Anfänge.

Hinterher gab es dreierlei exzellente Weichkäse von Maître Fromager Volker Waltmann, nicht zu reif, dazu frisches Brot, getrocknete Pflaumen und Trauben. Noch besser: Omas Aprikosenkuchen mit einem köstlich krokantigen Boden. Dazu passten gebranntes Vanilleeis und allerlei Beeren. Die Gänge kamen in kurzen Abständen und waren so geschickt aufeinander abgestimmt, dass man sich am Ende des Abends richtig gut fühlte, satt, aber eben nicht zu satt.

Die Weinkarte ist nach wie vor verlässlich sortiert. Der weiße Riesling Sommerpalais Reichsgraf von Kesselstatt von 2017 war gut und frisch an auf der Zunge (34 Euro). Ebenso die Oberbergener Bassgeige vom Kaiserstuhl, ein verlässlicher Menü-Begleiter. Beide Weißweine passen perfekt zum eher konservativen Neustart der Küche. Und nicht nur treue Stammgäste werden das zu schätzen wissen. Elisabeth Binder

Alt-Moabit 141, Tiergarten, Tel. 39 42 081, bis 20. September geschlossen, danach Mo – Fr 12 – 15, Mo – Sa 18 – 22 Uhr, paris-moskau.de