Berlin - Die Taliban haben am Samstagabend auch die Stadt Masar-i-Scharif eingenommen. Dort war noch bis Ende Juni die Bundeswehr stationiert. Angesichts des Vormarsches der radikalen Islamisten mehren sich die Forderungen nach einer Aufnahme von afghanischen Flüchtlingen in Deutschland. Die Bundesregierung dürfe nicht warten, bis sich alle 27 EU-Länder einig seien, sagte Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock im Deutschlandfunk. Deutschland solle zusammen mit anderen EU-Staaten, den USA und Kanada Kontingente von Flüchtlingen aufnehmen. Kanada will 20 000 besonders gefährdeten Menschen Zuflucht gewähren.

Zehntausende Menschen sind aus anderen Landesteilen vor den Taliban in Afghanistans Hauptstadt Kabul geflohen. „Deutschland sollte in der EU jetzt sehr offensiv für ein europäisches Aufnahmeprogramm für afghanische Geflüchtete werben“, sagte Linken-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow dem Tagesspiegel. Die FDP fordert ein Sondervisa-Programm für afghanische Frauen, die durch die Taliban bedroht sind. „Deutschland und Europa haben hier eine besondere Verantwortung“, sagte FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff.

Berlin erklärte sich zur Aufnahme von Flüchtlingen bereit. Gemeinsam mit anderen Bundesländern würde die Stadt ein Kontingent von Flüchtlingen aufnehmen, „die sich in Afghanistan für den Aufbau der Demokratie eingesetzt haben“, sagte Innensenator Andreas Geisel (SPD) dem Tagesspiegel. „Wir brauchen dafür dringend Entscheidungen auf Bundesebene.“ Elke Breitenbach (Linke), Senatorin für Integration, forderte eine „humanitäre Hilfsaktion, an der sich Berlin selbstverständlich beteiligen wird“. Auch Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch sieht Deutschland und Berlin in der Verantwortung.

Für derartige Pläne gibt es aus der Union keine Unterstützung. „Wir sollten uns zunächst darauf konzentrieren, unseren bedrohten Ortskräften eine rasche Ausreise zu ermöglichen“, sagte Fraktionsvize Thorsten Frei (CDU). Zudem müsse alles getan werden, um die Aufnahme der Flüchtlinge in den Nachbarstaaten zu unterstützen. Unions- Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) forderte eine rasche Rettung der Ortskräfte. Geisel kritisierte die Versäumnisse der Bundesregierung beim Schutz der Menschen, die für die Bundeswehr gearbeitet haben. Auf der Innenministerkonferenz habe es Entsetzen darüber gegeben, dass die Soldaten abgezogen wurde, ohne für die Sicherheit der Helfer zu sorgen. Die Bundeswehr bereitet derzeit einen Einsatz vor, um Deutsche und Helfer aus Kabul auszufliegen.

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