Anton* hat sich vor einem Fernseher platziert und betrachtet sein Werk. Auf dem Bildschirm stemmt sich ein Mädchen mit grauer Turnhose in den Handstand, ein Lehrer mit grünem Sweatshirt gibt Hilfestellung, andere Jungen und Mädchen verfolgen das Ganze. Eine Szene aus der Generalprobe eines Theaterstücks, das in der privaten Klax-Gemeinschaftsschule aufgeführt wurde. Anton hat das Video geschnitten, seinem Gesichtsausdruck nach gibt er sich gute Noten.

Aber andererseits war es ja auch keine große Sache für ihn, so routiniert, wie er über die Software seines Programms und die Gigabytes der Speicherkapazität der Kamera referiert. Filme hat er ja schon früher in der Schule geschnitten.

Anton ist neun Jahre alt.

Der Bildschirm steht im Eingangsbereich der Klax-Schule in Pankow, neben dem Gerät steht Stephen Kelly, der Schulleiter, und hört Anton interessiert zu. Aber besonders beeindruckt ist er nicht, digitales Wissen ist an seiner Schule Alltag. „Die Digitalisierung ist in alles integriert, was wir hier machen“, sagt er.

Die Bienen zum Beispiel sind schon Spielzeug für die Vorschüler. Sie sind handtellergroß, stehen in einer Box neben dem Fernseher und haben Knöpfe mit Pfeilen auf dem Rücken. Bevor sie losmarschieren, kann man ihre Richtung programmieren. Links, rechts, geradeaus, jeder Schritt ein Knopfdruck. So werden schon kleine Kinder spielerisch an Digitalisierung herangeführt.

Und deshalb, sagt Kelly, „haben wir in der Pandemie die Umstellung auf Homeschooling sehr schnell geschafft.“ Und deshalb ist die Klax-Schule auch als einzige Lehranstalt Berlins in diesem Jahr in der Endausscheidung für den Deutschen Schulpreis 20/21 Spezial. Ausgezeichnet in sieben Bereichen werden Schulen, die digitale Lehr- und Lernformate, das selbst organisierte Lernen oder die Beziehungen zwischen Schülern, Lehrkräften und Eltern wirksam gestaltet haben. Die Klax-Schule ist mit ihrem Konzept „Lernende entwickeln selbst digitale Lösungen“ nominiert. Am 10. Mai werden die Preisträger bekannt gegeben.

Homeschooling in Pandemiezeiten, das bedeutet für Lehrer und Schüler: über Nacht selbstständig arbeiten, sich selber organisieren, digitalen Unterricht gestalten und zu Hause möglichst effektiv lernen.

Für die Klax-Schule bedeutete es nur die Fortsetzung des Alltags mit anderen Mitteln. Selbstständiges Arbeiten mit digitalen und analogen Formen ist die Leitlinie der Einrichtung. „Wir schauen, dass die Schüler ein Problem entdecken und lösen, aber nicht, dass jemand anderer für sie ein Problem löst“, sagt Kelly. „Wir wollen, dass sie Verantwortung übernehmen, wir arbeiten hier kompetenzorientiert. Wir erwarten nicht, dass alles das Gleiche machen.“ Vor allem aber, für Kelly ist das ein bedeutsamer Teil des Konzepts, wird auf eine gute Beziehungsarbeit geachtet, von Lehrern zu Schülern und ihren Eltern, aber auch von Schülern untereinander.

Die Lernziele orientieren sich natürlich am Rahmenlehrplan, aber bei der Umsetzung haben die Schüler einen enorm großen Freiraum. Jeder Einzelne legt die Schritte fest, in denen er zum Ziel kommen will, immer unterstützt von den Lehrerinnen und Lehrern, die ständig ansprechbar sind.

Und das Ganze natürlich immer verzahnt mit digitalen Formen. Im Kunstunterricht lautete eine Aufgabe in der Pandemie: Wie erlebe ich meinen Alltag? Die Antworten kamen in Form von Videotagebüchern und -collagen, Animationen, aber auch mit einem Bild, auf dem sich ein Schüler selber in Öl gemalt hat.

Schüler der Mittelstufe haben zu Pandemiezeiten auch einen Handwasch-Timer programmiert. Ein typisches Beispiel für die Arbeit an der Schule. Irgendwann fiel jemandem auf, dass man klar signalisieren sollte, wie lange man wegen Corona auf den Schultoiletten die Hände waschen sollte. Also lieferten die Jugendlichen nach einer Tüftelarbeit die Antwort: einen Timer, der so lange Musik spielt, wie man sich die Hände waschen soll. Die Timer hingen kurz darauf an jedem Waschbecken.

Und in den Theater-Projektwochen kümmerten sich die Kinder in verschiedenen Workshops um Requisiten, Dokumentation, Bühnenbild und andere Dinge, die für ein Theaterstück nötig sind. Brunos Schnittarbeit war Teil eines dieser Workshops. Und gleichzeitig spielerisch Teil des Unterrichts. „Da ist ganz viel Mathematik dabei“, sagt Kelly. „Das ist Bruno im Moment noch gar nicht bewusst, aber später wird er davon profitieren. So wie auch die Handwasch-Timer Teil des Informatik- und des Mathematikunterrichts sind.“

Natürlich ist die Klax-Schule nicht die einzige Lehranstalt, die kreativ mit der Pandemie umgeht, diesen Anspruch erhebt Kelly auch gar nicht, aber in dem mehrgeschossigen Gebäude neben einem großen Einkaufszentrum sind die Freiräume für die Schüler wohl größer als an vielen staatlichen Schulen.

Man muss nur Steve, dem 16-Jährigen, und Jordan, dem 17-Jährigen, zuhören, dann merkt man, wie sehr diese Freiräume den Schülern beim Homeschooling geholfen haben. „Die selbstständige Arbeit, die ich in der Schule schon vor der Pandemie kannte, hat mir beim Unterricht zu Hause extrem geholfen. Es war letztlich die gleiche Struktur wie in der Schule“, sagt Steve. Jordan ergänzt: „Der einzige Unterschied war bloß, dass kein Lehrer vor einem stand.“ Lehrer und Schüler waren ausnahmslos durch das Programm Teams verbunden. „Wir werden in der Schule auch bei der Digitalisierung einbezogen“, sagt Jordan. „Wir können unsere Ideen einbringen.“

Und alle Schüler hatten sich an vier Regeln zu halten: morgens duschen, gut frühstücken, ordentlich angezogen den Tag beginnen, rechtzeitig am Schreibtisch sitzen. Die Kameras mussten immer angeschaltet sein, jeder Lehrer hatte seine Schüler im Blick. „Die Eltern müssen sich auf uns verlassen können, wenn sie nicht zu Hause sind“, sagt Kelly. Auch das gehört zur Beziehungsarbeit.

Im vierten Stock der Schule liegt die lichtdurchflutete Tüftelwerkstatt. „Hier“, sagt ein Lehrer, „kann man seine Ideen umsetzen.“ Hier sind klassische Werkbänke, hier entstehen aber auch digitale Formate. Eine Idee sind ferngesteuerte Mülleimer. Ist ja auch lästig, immer zur Abfallbox zu laufen, die kann ja auch zu einem kommen. Im Tüftelraum hat auch Anton eine Idee umgesetzt.

Er hatte gehört, dass sich Mitarbeiterinnen am Empfang beklagt hatten, weil Lehrer oft nicht den pandemiebedingten Abstand gehalten hatten. Also programmierte Anton einen Abstand-Timer mit Sensor. Wenn nun am Empfang plötzlich ein Warnton erklang, dann war klar: Aha, ein Pädagoge hatte mal wieder die Sicherheitsgrenze überschritten.

* Namen der Schüler geändert