Potsdam - Ernst Henkel ist in Pritzwalk noch vielen Menschen ein Begriff: Zu DDR-Zeiten war der heutige Bürgerplatz nach dem 1944 an einer Krebserkrankung, wohl aber auch an den Folgen von Folter und Haft in NS-Konzentrationslagern verstorbenen Sozialdemokraten benannt. Der Beamte und spätere Gewerkschaftsfunktionär ist einer von 18 märkischen Sozialdemokraten des 20. Jahrhunderts, deren Biographien in einem neuen Buch geschildert werden: „Sozialdemokratie in Brandenburg 1933-1989/90 – Lebenswege zwischen Widerstand, Vereinnahmung und Neubeginn“ ist der zweite Band einer vom früheren Kulturstaatssekretär Martin Gorholt (SPD), der Sprecherin der „Historischen Kommission“ der SPD Brandenburg, Sabine Hering, und dem ehemaligen Europa-Pressesprecher beim SPD Parteivorstand, Willi Carl, herausgegebenen Geschichte der Brandenburger SPD.

„Die Geschichte der Brandenburger SPD ist auch ein Teil der Geschichte Brandenburgs“, sagt Gorholt. Immerhin sei Brandenburg das einzige Bundesland, das seit 1990 kontinuierlich von den Sozialdemokraten regiert werde. Doch eine Geschichte der Landespartei gab es bislang nicht, „obwohl wir eine der erfolgreichsten SPD-Gliederungen in Deutschland sind.“ Und obwohl die Landespartei durchaus große Namen zu bieten hatte: Friedrich Ebert junior beispielsweise, den Sohn des gleichnamigen Reichspräsidenten. Er saß während des Nationalsozialismus im KZ, gründete nach dem Krieg die SPD in Brandenburg mit – und beteiligte sich später, wohl auch unter Druck, an der Zwangsvereinigung mit der KPD zur SED, wurde erster Co-Vorsitzender der SED in Brandenburg und Oberbürgermeister von Berlin (Ost).

Obwohl hier Sozialdemokraten eine Geschichte von Sozialdemokraten schrieben, ist es ein Verdienst des neuen Buches, dass es die märkische SPD nicht nur als Partei schildert, die in Wendezeiten im Pfarrhaus von Schwante von engagierten Bürgerrechtlern neu gegründet wurde, sondern auch an jene Zeiten erinnert, in denen die Partei nicht existierte. Die für viele Lebenswege des 20. Jahrhunderts typischen Brüche werden deutlich herausgearbeitet: Menschen, die im Nationalsozialismus verfolgt wurden, assimilierten sich in der DDR. Manche versuchten, ihren Idealen treu zu bleiben – und scheiterten dann doch.

Freilich: Die Qualität der Beiträge schwankt. Während für das Porträt von Henkel zahlreiche Archivalien herangezogen wurden, sind für den Text über Gustav Just dessen Autobiographie und die Tagebuchaufzeichnungen seiner Gattin die einzigen Literaturhinweise. Dass Just auf sein Landtagsmandat verzichtete, nachdem ihm auf der Basis von Stasi-Akten vorgeworfen wurde, er habe sich im Zweiten Weltkrieg an Massenerschießungen in Russland beteiligt, wird im Text nur kurz erwähnt. Ein Versuch, die Rolle Justs im Krieg näher auszuleuchten, unterbleibt. Differenzierter ist da schon der Umgang mit Brandenburgs erstem Ministerpräsidenten Manfred Stolpe: In dessen 13 Seiten umfassender Kurzbiographie kommen auch die Kritiker seiner Rolle in der DDR und seiner Beziehungen zum Ministerium für Staatssicherheit zu Wort – soweit dies in einer Kurzbiographie und in einem Buch dieses Formats möglich ist. Benjamin Lassiwe

Willi Carl, Martin Gorholt, Sabine Hering: Sozialdemokratie in Brandenburg (1933-1989/90) – Lebenswege zwischen Widerstand, Vereinnahmung und Neubeginn. Bonn, Dietz 2022. 335 Seiten, 26 Euro.