Dran glauben wollte anfangs keiner: Dass die verfallene ehemalige Lungenheilanstalt in Beelitz-Heilstätten, Brandenburgs größtes Flächendenkmal, wirklich ein neues Wohnquartier wird. Mit über 1000 Wohneinheiten für bis zu 5000 Menschen. Kita, Bäckerei, Restaurant, Veranstaltungsräume, Ärztehaus, Betreutes Wohnen, Geschäfte. „Kretzschmar, Du bist doch verrückt“, hätten die Leute zu ihm gesagt, erinnert sich der 51-jährige Potsdamer Bauunternehmer Jan Kretzschmar. Das ist jetzt gut acht Jahre her.

Inzwischen ist in dem Kiefernwald neben dem Bahnhof Beelitz-Heilstätten im Landkreis Potsdam-Mittelmark ein eigenes kleines Städtchen entstanden: In der Kita spielen Erzieherinnen mit Kindern, in der Bäckerei bedienen sich hungrige ältere Damen und Herren am Frühstücksbuffet. Das Ärztehaus ist zwar noch nicht bezogen, aber hochgezogen, und für den Rewe-Markt wurde das Fundament gegossen. 500 Millionen Euro beträgt die Investitionssumme, so Kretzschmar, durch die jüngsten Kostensteigerungen seien es bislang 500.000 Euro mehr.

Quadrant C ist das ehemalige Männersanatorium

Kretzschmar und seine Mitarbeiterin Britta Berger führen über den ersten Teilbereich des Quadranten C: Das 63 Hektar große Gelände des ehemaligen Männersanatoriums, in dessen Mittelpunkt das ehemalige und neue Heizkraftwerk steht. Kretzschmar steuert auf einen Kreisverkehr zu, darum stehen fünf Mehrfamilienhäuser. Sie zählen 104 Wohnungen. Es sind so gut wie alle verkauft. Ende des Jahres sollen sie bezogen werden.

Alle Häuser sind viergeschossig errichtet. „Nicht höher als das Ärztehaus“, sagt der Bauingenieur Kretzschmar. Dass gewisse Dinge hier, vor allem solche, die die Vergangenheit des geschichtsträchtigen Ortes betreffen, ihr möglichst ursprüngliches Aussehen bewahren, sind ihm wichtig. „Rollläden sind für manche eben einfacher“, sagt er. Holzläden werden dem architektonischen Ensemble Heilstätten aber eher gerecht. Kretzschmar geht in Deckung. Über den Köpfen schwenkt ein Kran gerade einen Stahlkasten. Baumaschinen röhren.

Brandenburgs größtes Flächendenkmal

Nach links geht es zu den Einfamilienhäusern mit rotem Spitzdach, Bullaugenfenstern und dunkelgrünen Fensterläden. Sie sehen gediegen aus. Ein Bagger erledigt letzte Arbeiten. Zwei neue Bewohner - ein Paar mittleren Alters - schauen aus dem Fenster im Erdgeschoss der zweigeschossigen Häuser. „Moin“, grüßt Kretzschmar. Die beiden grüßen mit einem Lächeln zurück.

Das Heilstättchen wächst rasant: Lag die Einwohnerzahl des Beelitzer Gemeindeteils Beelitz-Heilstätten Ende 2021 noch bei 649 Einwohnern, betrug die Zahl laut Stadt Ende 2022 bereits 924 Menschen. Vor zehn Jahren waren es weniger als 500 Einwohner. Laut Kretzschmar kommt ein Drittel der Zuzügler aus Potsdam und der näheren Umgebung, ein Drittel aus Berlin und ein Drittel aus der gesamten Bundesrepublik.

„Wir hatten eine unendliche Warteliste“, sagt seine Mitarbeiterin Berger. In dem gesamten Quartier sollen einmal bis zu 5000 Menschen wohnen. Der RE 7 fährt im Halbstundentakt nach Berlin. Den Bahnhof Potsdam-Medienstadt Babelsberg erreicht man in rund 20 Minuten.

Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die ehemalige Heilanstalt für an Tuberkulose erkrankte Berliner Arbeiterinnen und Arbeiter erbaut. Die frische trockene Luft sollte geplagte Lungen mit Frischluftliegekuren und viel Erholung guttun. Ärzte und Schwestern wirkten selbst an den Plänen für das 200 Hektar große Areal mit rund 65 Gebäuden mit. Die Architekten Heino Schmieden und Julius Boethke entwarfen die Gebäude in Landhausstil mit großen Fenstern, hellen Farben, Fachwerkgiebeln und Erkern.

Es ist der Mix aus Alt und Neu, der heute den Ort im Wald zu etwas Besonderem macht. Neubauten, die sich zwischen die historischen Bauten wie den fachwerkverzierten Wasserturm und die Pumpenhäuser sowie das Blockheizkraftwerk farblich und architektonisch einfügen. Das Heizkraftwerk läuft mit Biomethan und versorgt umliegende Einrichtungen und Wohnhäuser. Ob es ausreichen wird, um alle Wohnungen und Häuser, die weiter nordöstlich vom Bahnhof im sogenannten Teilbereich II des Quadranten C entstehen sollen, zu versorgen, muss laut Kretzschmars Unternehmen KW Development erst noch abgewartet werden. Aber es ist der Plan.

In das alte Bahnhofsgebäude ist das Restaurant Harveys eingezogen. Die KW Development hat die hergerichteten Büroräume bezogen. Ein Fahrradverleih und ein Info-Servicepunkt, der auch Pakete annehmen soll, sind in Planung.

Ahornhöfe, die ehemalige Frauenheilstätte

Wohnhaus, Remise, Scheune: In den Ahornhöfen links der Straße nach Fichtenwalde entstehen 200 Wohneinheiten. Vorne stehen die Mehrfamilienhäuser mit kleineren Wohnungen. Kaltmiete pro Quadratmeter: 12,50 bis 12,80 Euro. Damit liegt man in etwa bei dem, was Mieter in Potsdam für Neuwohnungen zahlen müssen. Auch Studierende aus der Landeshauptstadt seien interessiert, sagt Kretzschmar. Für 22 bis 24 Quadratmeter müssten sie rund 400 Euro warm hinlegen. „Da zahlt man in Berliner Studentenwohnheimen nicht weniger.“ Ein Blick in Berliner Mietportale bestätigt das.

Hinter den Wohnungen sind jeweils vier Höfe angelegt mit Grünfläche und Spielplatz, darum acht Doppelhaushälften und 58 Reihenhäuser, die mit hellen Holzfensterläden und roten Dächern Hofcharakter erzeugen sollen. Dort soll generationsübergreifendes Wohnen möglich sein. Kretzschmar, der selbst in einem Mehrgenerationenhaus in Babelsberg lebt, spricht von vielfältigen Begegnungsmöglichkeiten, nachbarschaftlichen Kontakten.

Die Kita ist schon voll, die Schule fehlt noch

85 Prozent der Wohnungen und Häuser in den Ahornhöfen sind bereits vermietet. Im Dezember zogen die ersten Mieter ein. In der nächsten Woche sollen weitere Schlüssel übergeben werden. Das neue Wohnquartier zieht Familien an. Die rund 130 Plätze der Loris-Kita des Potsdamer Trägers Kinderwelt sind belegt. Es gibt eine Warteliste. Kretzschmar will eine weitere Kita schaffen. Einen Zeitplan gibt es dafür aber noch nicht. Auch die Baugenehmigung für die rund 400 weiteren Häuser und etwa 250 Wohnungen, die im Teilbereich II des Quadranten C entstehen sollen, steht noch aus.

Die Schul-Infrastruktur ist mit der Absage des Bildungsministeriums für die Loris-Grundschule in Beelitz-Heilstätten zum Problem geworden. Das Ministerium hatte sowohl bauliche als auch fachliche Bedenken gegen die Einrichtung angemeldet.40 Kinder, die im Schuljahr 2022/23 hätten eingeschult werden sollen, erhielten eine Absage.

Der Träger Kinderwelt hat laut Geschäftsführer Steffen Siegert erneut einen Antrag auf Genehmigung zur Errichtung der Grundschule für das Schuljahr 2023/24 gestellt. „Unser Antrag beinhaltete alle zur Antragsprüfung geforderten Unterlagen. Bislang haben wir noch keine Rückmeldung zum Antrag erhalten“, so Siegert. Das Bildungsministerium will sich mit Verweis auf das laufende Verfahren nicht äußern.

Die Stadtverwaltung sieht der Zukunft von Beelitz-Heilstätten sehr optimistisch und positiv entgegen, so der Beelitzer Bürgermeister Bernhard Knuth (parteilos). Schließlich seien die Baufortschritte beim Projekt Ahornhöfe, an den historischen Bestandsgebäuden und rund um den Marktplatz „beeindruckend“.

Doch auch Bürgermeister Knuth bemerkt: „Ein Gemeindeteil wie dieser, der sich entwickelt, bedarf einer kulturellen und einer Dienstleistungsinfrastruktur - und das sowohl für die Bewohner, als auch für die vielen Touristen und Arbeitnehmer.“ Und es werden noch mehr werden.

Kreisverwaltung kommt nach Beelitz-Heilstätten

Der Landkreis Potsdam-Mittelmark will rund 700 seiner insgesamt etwa 1000 Mitarbeitenden künftig nach Beelitz-Heilstätten entsenden. Dort soll der moderne Neubau der Kreisverwaltung entstehen. Damitwill Landrat Marko Köhler (SPD) diebisherigen Standorte in Werder (Havel), Brandenburg an der Havel, Teltow und Bad Belzig zentralisieren. Geplant ist der Bezug der neuen Kreisverwaltung für die Jahre 2028/2029. Investor Jan Kretzschmar rechnet damit, dass dann nach fast 15 Jahren Bauzeit auch die neue Kleinstadt Heilstätten fertig ist.