Drei Stolpersteine erinnern daran, dass dort, wo heute eine Grundschule steht, früher die jüdische Familie Zeisler lebte. Die Eltern betrieben einen Tabakladen in der Nähe, die Kinder besuchten Schulen in der Kastanienallee und in der Auguststraße, sie spielten am Teutoburger Platz – so, wie es die Schülerinnen und Schüler noch heute tun. Dann kamen die Nazis. Drei Kinder – Herbert, Hilde und Rahel – konnten nach Israel und England fliehen. Die Eltern Jetti und Josef und der jüngste Sohn Daniel wurden in Konzentrationslagern ermordet.

Ein Projekt der Grundschule am Teutoburger Platz in Prenzlauer Berg erinnert nun an die Geschichte der Familie – und an die Schicksale vieler weiterer Menschen, die von den Nazis verfolgt wurden. Schülerinnen und Schüler der vierten, fünften und sechsten Klasse haben dazu recherchiert. Sie besuchten das Anne-Frank-Zentrum, setzten sich mit den antijüdischen Gesetzen der NS-Zeit auseinander, führten Interviews mit Überlebenden.

„Die Geschichten waren sehr traurig“, sagte die 10-jährige Rosalie aus der Klasse 5b am Montag am Rande der Projektvorstellung. „Aber es war toll, dass wir durch die Interviews verstehen konnten, was damals passiert ist“, ergänzte ihre Mitschülerin Aafje.

Im Jahr 2013 bekam die Schule einen Brief von Moran Oren – der Enkelin von Herbert Zeisler. Oren, die in Haifa in Israel lebt, hatte die Stolpersteine zum Gedenken an ihre Familie initiiert. Seitdem steht die Schule im Austausch mit der Frau. Die Schülerinnen und Schüler pflegen die Stolpersteine. Vor zwei Jahren kam Lehrerin Stephanie Mühlbauer dann die Idee für das Stolperstein-Projekt.

Entstanden sind dabei auch Podcasts. „Kinder und Jugendliche interessieren sich für das Medium“, sagte Mühlbauer. In kurzen Audioclips, die auf der Projektseite im Netz zu finden sind, informieren die Schülerinnen und Schüler über ihre Recherchen und präsentieren Ausschnitte aus den Zeitzeugen-Interviews.

Im März letzten Jahres las Mühlbauer von einer Gedenk-App, die Nicola Andersson im Rahmen ihrer Masterarbeit an der Uni Göteborg entwickelt hatte. Die beiden Frauen kamen in Kontakt, arbeiten seitdem zusammen. Mit der App können Stolpersteine gescannt werden: Es öffnen sich weitere Informationen, Fotos, Audiodateien. So sollen die Stolpersteine zum Sprechen gebracht, die Schicksale greifbarer werden, sagte Mühlbauer. Mittlerweile seien an fünf Stellen in der Umgebung Gedenksteine mit Hintergrundinformationen verknüpft worden.

Am Montag besuchte Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) die Schule, um sich bei der Lehrerin und den Kindern für ihr Engagement zu bedanken. „Es ist mir ein wichtiges Anliegen, die Erinnerung an die Judenverfolgung und den Holocaust während der NS-Zeit wach zu halten. Das ist uns Pädagoginnen und Pädagogen ein Bildungsauftrag“, sagte Busse, die bis vor wenigen Monaten als Schulleiterin an einer Neuköllner Grundschule arbeitete. „Kein Buch, kein Film, keine Unterrichtsstunde kann das Gespräch mit einer Zeitzeugin ersetzen.“

Die Klasse hat auch ein Interview mit der 97-jährigen Holocaust-Überlebenden Eva Evans geführt. Sie war als 15-Jährige mit ihren Eltern von Charlottenburg nach England geflohen. Nie zuvor hatte sie mit Schülerinnen und Schülern über ihre Erlebnisse gesprochen. Am Montag war Evans per Zoom zugeschaltet. „Ich habe sehr gerne mit den Kindern gesprochen“, sagte sie. „Es war mir eine große Freude.“

Das Interview mit der Zeitzeugin erregte sogar die Aufmerksamkeit der Queen. Im November letzten Jahres bekam die Tochter von Eva Evans einen Brief aus Windsor Castle: „Ihre Majestät hat mit Interesse von dem Interview erfahren, das sie mit deutschen Schulkindern geführt hat, um ihre Erfahrungen vom Leben als junges Mädchen unter der Naziherrschaft in Berlin zu teilen.“

Auch Nicholas Wareham, Sprecher der Britischen Botschaft in Berlin, kam am Montag in die Grundschule, um den Schülerinnen und Schülern zu danken. „Das großartige Engagement von ihnen, die Wege der Überlebenden nachzugehen, hat Königin Elizabeth II. gewürdigt“, sagte er. „Ich schließe mich ihr an.“

Lehrerin Stephanie Mühlbauer sagte, dass sich die Themen Flucht und Vertreibung gut für eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus eigneten – auch und gerade für geflüchtete Schülerinnen und Schüler, die häufig keinen großen Bezug zur deutschen Geschichte hätten. Am Montag legte ihre Klasse nach der Vorstellung des Projekts Blumen an die Stolpersteine der Familie Zeisler. Für die Zukunft plant Mühlbauer, viele weitere Stolpersteine zum Sprechen zu bringen und über jüdisches Leben der Gegenwart aufzuklären. Und sie hat eine Hoffnung: „Ich wünsche mir, dass ganz viele Schulen mitmachen.“