Diese Worte der indonesischen Künstlergruppe Taring Padi sollten eine Entschuldigung für ihr eindeutig antisemitisches Tableau „People’s Justice“ sein: „Alle auf dem Banner abgebildeten Figuren nehmen Bezug auf eine im politischen Kontext Indonesiens verbreitete Symbolik.“ Eben erst war das Werk zur Documenta fifteen am Kasseler Friedrichsplatz aufgehängt worden. Im Gewimmel der Figuren auf einem riesigen Banner ist ein Mensch mit Schweineschnauze dargestellt, einen Davidstern auf der Brust und einen Helm auf dem Kopf mit dem Wort „Mossad“ vorne drauf. Außerdem trägt dort die verzerrte Figur eines Juden mit Schläfenlocken einen Hut mit SS-Runen. Nach vehementen Protesten wurde „People’s Justice“ zunächst am Montag verhüllt und am Dienstagabend dann abgehängt.

Am besten illustriert die Entschuldigung der Künstlergruppe selbst, weshalb diese 15. Documenta unter Antisemitismusverdacht geraten konnte. Das Kuratieren war diesmal an mehrere Kollektive aus dem sogenannten globalen Süden delegiert worden, unter der Leitung des indonesischen Teams Ruangrupa. Das verdankt sich einer bestimmten Strömung im Rahmen des Postkolonialismus. Damit gewinnt in der Debatte um die Documenta eine sprachliche Figur an Prominenz, die bisher eher in kleineren Kreisen aufgetaucht ist: der globale Süden. Gedacht ist er weniger geografisch als politisch – Australien zählt nicht dazu. Er mutiert in akademischen wie künstlerischen Kontexten und Diskursen zusehends zu einer ideologischen Chiffre.

Entstanden ist „the Global South“ als weniger hierarchischer Ersatz für „Dritte Welt“ oder „Entwicklungsländer“. Nicht um defizitäre Räume soll es gehen, die der Entwicklung bedürfen, sondern um gleichrangige, sogar sympathischere Kulturen und Systeme. Teils bilderbuchhaft malt die postkoloniale Theorie die ideologischen Hemisphären. Im globalen Süden leben überwiegend People of Color, PoC, die unter den Folgen von Kolonialismus und Kapitalismus leiden.

Im globalen Norden, natürlich inklusive USA (in der arabischen Welt gern „der große Satan“ neben „dem kleinen Satan“ Israel), leben überwiegend weiße Menschen, deren Vorfahren die Folgen von Kolonialismus und Kapitalismus verantworten und die von beidem profitieren. Als „weiß“ oder „kolonial“ gelten mitunter auch Konzepte wie Objektivität, Rationalität, Universalismus, Menschenrechte oder Demokratie. „Weiße“ wirken teils wie die Ursache par excellence am Unbehagen an der Kultur.

Doch am schlechtesten kommen im Weltbild des schlichten Postkolonialismus „die Juden“ und „Israel“ weg. Hier fermentiert der Postkolonialismus nur das, was bereits länger gärt. Denn Antisemitismus etwa in arabischen, afrikanischen oder lateinamerikanischen Staaten ist keineswegs neu. Meron Mendel, Leiter der Bildungsstätte Anne Frank, erklärt: „Israel steht symbolisch für all das, was man an der gesamten Welt kritisieren will: Es ist dann der rassistische, koloniale, nationalistische Staat schlechthin.“ Das schrieb Mendel in der avantgardistischen Zeitschrift „Texte zur Kunst“, die im September 2020 eine Ausgabe zum „Anti-Antisemitismus“ herausbrachte, in Sorge um just jene Tendenzen, die auf der aktuellen Documenta so deutlich und so offen zutage treten. Für die Zeitschrift war die Folge ein Bruch mit mehreren Beiräten.

Im Vorfeld der Documenta flackerten seit Monaten Befürchtungen auf wegen der Nähe der indonesischen Kuratoren zur israelfeindlichen Boykottbewegung BDS; eine heikle Sache. Denn im Mai 2019 fasste der Bundestag einen Beschluss, wonach Projekte, die zum Boykott Israels aufrufen oder die BDS-Bewegung unterstützen, „nicht finanziell gefördert werden“ dürfen. Für Empörung in der Kunst- und Kulturwelt sorgte im Dezember 2020 der offene Brief einer „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“. Diese verlangte, den Beschluss rückgängig zu machen, da er Kulturschaffende aus dem Globalen Süden ausgrenzen könne.

Unterzeichnet hatten unter anderem das Goethe-Institut, das Humboldt Forum und Claudia Roth. Der Tenor: BDS sei nicht pauschal antisemitisch. In anderen Ländern sehe man Israel eben anders als hierzulande.

Das tut auch Ruangrupa. Der Versuch der Documenta, mit dem Kollektiv und Kritikern eine Diskussionsreihe zu organisieren, war im Mai gescheitert. Alle Podien wurden abgesagt und vertagt. Jüdische Künstler fehlen auf der dem Globalen Süden gewidmeten Documenta, präsent ist ein palästinensisches Kollektiv, das sich in „The Question of Funding“ umbenannte – eine Anspielung darauf, dass BDS-Support und Fördermittel einander ausschließen. Bei der Eröffnungsfeier der Kunstschau am Samstag bekannte Bundespräsident Steinmeier: „Es verstört mich, wenn weltweit neuerdings häufiger Vertreter des Globalen Südens sich weigern, an Veranstaltungen, an Konferenzen oder Festivals teilzunehmen, an denen jüdische Israelis teilnehmen.“ Mit verblüffender Naivität bestätigt nun gerade die Entschuldigung von Taring Padi exakt die Vorbehalte der vergangenen Monate. Taring Padi berufen sich auf eine in Indonesien „verbreitete Symbolik“ zum Zweck der Kritik an „korrupter Verwaltung“, am „ausbeuterischen kapitalistischen System“ und an „militärischer Gewalt“. Die „visuellen Vokabeln“ des „progressiven Kollektivs“, so schreibt es, seien „kulturspezifisch auf unsere eigenen Erfahrungen bezogen“.

Die Künstler seien „traurig darüber“, dass Details ihrer Arbeit „in Deutschland als beleidigend empfunden“ würden. Ein Dialog wäre „in diesem Moment“ nicht möglich.

Davidstern und Mossad als kulturspezifische Phänomene in Indonesien? Tatsächlich legt diese Erklärung des Kollektivs auf ihre Weise den Kern der gesamten Causa frei. Darin steckt die ohne jedes Unrechtsbewusstsein vorgetragene Überzeugung: Für uns als progressive Kräfte im Globalen Süden ist das Feindbild „Juden und Israel“ eine Selbstverständlichkeit. Und daraus folgt das betrübte bis verärgerte Bedauern: Weil das in Deutschland heute anders ist, müssen wir leider Rücksicht nehmen.

Um genau diese Problematik geht es seit Jahren in der „postkolonialen“ Debatte um Israel-Boykott und den Globalen Süden. Ohne Chiffrierung könnte die – teils unbewusste – Frage lauten: Gibt es denn kein Recht auf psychische und politische Entlastung durch den klassischen antisemitischen Mechanismus des Sündenbocks für Leute, deren Länder gar nichts mit der Schoah zu tun haben?

Noch unbewusster eine tiefere Schicht: Können diese Leute nicht stellvertretend für uns, die das nicht mehr dürfen, den Antisemitismus ausleben?

Die Filmkuratorin Cristina Nord sieht eine „Gefahr der Selbstbeschuldigung, die zu einem negativen Narzissmus führt“, wenn man davon ausgeht, „dass der Westen für alles Schlechte, das in den Ländern des Globalen Südens geschieht, verantwortlich ist“. Ausgeblendet wird dabei, was dortige Politiker, Geschäftsleute und Militärs selber verantworten. Während sich die Kolonialherren im späten 19. Jahrhundert „als Bringer der Zivilisation betrachteten“, so Nord, „neigen viele der heutigen Kritiker dazu, die Rolle des Westens als Bringer der Zerstörung zu verabsolutieren“. Damit reduzierten sie die lokalen Akteure erneut „auf den Status von Statisten“.

Mit dem Verweis auf Israel „als letzte Kolonialmacht“ und die Palästinenser als die letzten Kolonisierten dieser Erde sind realitätsverzerrende Diskurse an Universitäten und in der Kunstszene inzwischen gang und gäbe. Protagonisten sind akademische Berühmtheiten wie Gayatri Chakravorty Spivak, Achille Mbembe, Jasbir Puar oder Judith Butler. Die Redaktion des „Anti-Antisemitismus“-Heftes von „Texte zur Kunst“ rechtfertigte sich in den schriftlichen Gefechten mit ihren Kritikern: „Gegenstand der Analysen“ sei die in ihren Augen „teils problematische Rhetorik“, mit der Israel zum „kolonialen Bösen“ deklariert werde. Es stelle sich deshalb auch die Frage, warum ausgerechnet der Israel-Boykott „im Unterschied zu anderen globalen Menschenrechtsbewegungen in linken Zusammenhängen auf so viel Resonanz stößt“. Ja – warum wirkt Unrecht anderswo so viel uninteressanter? Etwa in Tibet und bei den Uiguren, in Myanmar, Syrien, im Yemen, in Belarus, Russland, Hongkong? Warum die Fixierung auf Juden, auf Unrecht in Israel?

Ohne es zu beabsichtigen, haben die Künstlerkollektive der Documenta von 2022 auf diese Fragen teils so offene wie bestürzende Antworten gegeben.