Fragt man Menschen, was ihnen spontan zum Begriff Leistungsorientierung einfällt, assoziieren viele Last, Angst, Härte. Die Reform der Bundesjugendspiele ist deshalb ein guter Anlass, um Druck aus dem Wort zu nehmen. Nicht nur in der Schule, sondern grundsätzlich. Dafür müssen wir Leistung neu definieren und uns trauen, Herausforderungen ohne Zwang anzugehen, auch wenn wir mal scheitern.

Künftig werden die Schulsportwettkämpfe, die unterhalb der Oberstufe verpflichtend sind, also nicht mehr leistungsorientiert, sondern bewegungsorientiert sein. Die einen feiern die Entscheidung, weil sie Kindern Ängste nehme; andere fragen sich besorgt, ob zu wenig Druck schon Kuschelpädagogik und damit schädlich für die Kinder sei. Dritte glauben, dass Kinder Niederlagen brauchen, um widerstandsfähiger zu werden in der Welt der Leistungsgesellschaft.

Das Problem ist aber gar nicht die Leistungsanforderung, die im Schulsport und in der Schule allgemein erbracht werden muss, sondern unser Wahn, sie messbar, bewertbar und damit vergleichbar zu machen. Noten sind Normen, die dazu führen, Kategorien zu bilden: gut, schlecht; Sieger, Verlierer. Was der Einzelne wirklich kann – über die Note hinaus – geht im Bestreben nach Konformität unter.

Das hat Konsequenzen: Wir glauben, dass Noten ein objektiver Maßstab für Intelligenz sind. Wir glauben, dass Unsportlichkeit ein Makel ist. Wir sind gefangen in einem starren System aus falschen Normen, in dem Leistung immer etwas mit mehr, besser, größer zu tun haben muss.

Dabei ist die freiwillig motivierte „Leistung“, im Verein, bei Musikwettbewerben, Mathemeisterschaften, ein großartiger Grund für Spaß, Selbstermächtigung und Stolz. Leistung kann glücklich machen. Menschen können von Geburt an Höchstleistungen bringen, ihre Grenzen sprengen – sie lernen sprechen, laufen, klettern; kleine Kinder lieben es, sich mit anderen im Spiel zu messen. Es ist Leistung in einem intrinsischen Sinne.

Würden wir in den Schulen die Noten abschaffen, könnten sich Lehrer und Lehrerinnen darauf konzentrieren, Talenteentwickler zu sein statt Fehlerfahnder. Das Bildungssystem ist aber fixiert auf Prüfungen und Zensuren und fördert Tugenden wie Einzelgängertum und Konkurrenzdenken.

Wir brauchen stattdessen soziale Intelligenz als wichtigste Ressource, ebenso die Fähigkeit, in Teams mit unterschiedlichen Begabungen Lösungen zu finden. Gesellschaften stehen vor riesigen Herausforderungen, müssen die Klimakrise bewältigen oder die Demokratie stabilisieren. Um dieses zu leisten, braucht es Mut, Ansporn und Schutzmechanismen.

Kinder sollten weder vermessen noch benotet, sondern bei der Entdeckung ihrer Talente begleitet werden. Dafür sollten sie so fächerübergreifend wie möglich lernen, sie brauchen Freiheit im Lernen, um frei zu denken. Denn in der Welt der Erwachsenen trauen viele der Freiheit nicht mehr, sie ist ihnen zu komplex. Das macht ohnmächtig und „Leistung“ zur reinen Bürde. Dabei können alle im wahrsten Sinne einen Beitrag für die Gesellschaft leisten. Leistung würde sich wirklich wieder lohnen – rein emotional.

In der Arbeitswelt empfehlen Experten Unternehmen zweierlei: Sagt euren Beschäftigten die Wahrheit, dass es anstrengend wird; sagt ihnen auch, dass ihr sie schützt, wenn es zu viel wird. Schulen wie Unternehmen müssen Räume schaffen, um gute und empathische menschliche Beziehungen zu fördern. In diesen Schutzräumen wird aus Kreativität und Lösungsorientierung Höchstleistung.

Leistungsbereitschaft und psychische Gesundheit gehören allerdings zwingend zusammen. Es ist gut, dass die Aufmerksamkeit für mentale Probleme zugenommen hat und das Thema nicht mehr tabuisiert wird. Die Fokussierung auf die Angst vor dem Leistungsdruck hat allerdings eine Kehrseite. Menschen, sagen Psychologen, trauen sich gar nicht mehr, in Stresssituationen zu gehen. Leistungslust kann dann nicht entstehen. Sie wird im Keim erstickt – wie durch Noten und Normen bei den Bundesjugendspielen.