In der Stadtentwicklung begann das neue Jahr gleich mit Zoff. Architekten attackieren die frisch bestellte Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt wegen ihrer vermeintlich rückwärtsgewandten Idee von Städtebau. Haben Sie Verständnis dafür?

Hunderte von Architekten haben das Verfahren kritisiert, unter anderem auch die Architektenkammer Berlin, die eine Findungs- und Auswahlkommission gefordert hat. Ein Blick über den Tellerrand hätte Berlin gut getan. Berlins Reiz liegt darin, dass die Stadt baukulturell verschiedene Zeitschichten hat. Diese zu transformieren, energetisch zu ertüchtigten und in einer Metamorphose zu neuen Nutzungen zu überführen, ist spannend. Frau Kahlfeldt bringt dafür Handwerkzeug mit, weil sie Erfahrung mit denkmalgerechter Sanierung hat. Neubauvillen, die auch zu ihren Vorhaben zählen und die einen Hang zum Historismus verraten, bringen Berlin jetzt nicht unbedingt nach vorne, denn wir befinden uns in einer städtebaulichen, ökologischen und sozial anspruchsvollen Bau- und Verkehrswende. Ich bin aber offen für ein erstes Gespräch, ein Termin dafür ist gefunden.

Ende des 19. Jahrhunderts fügten Architekten Stilelemente etwa der Gotik oder der Renaissance zu historistischen Neubauten zusammen. Das Ergebnis finden viele noch heute hübsch. Was ist falsch daran?

Ich finde das Verklärende an der historisierenden Neubauarchitektur schwierig. Original-Altbauten oder wie am Molkenmarkt die Klosterruine als Erinnerungsort im jetzigen Zustand sichtbar zu lassen, macht Geschichte erfahrbar. Dagegen sollte man nicht nachbauen, was nicht mehr da ist. Altes und Neues sollte nebeneinander stehen und erkennbar sein.

Wie beim Humboldt-Forum durch drei rekonstruierte Fassaden des Schlossbaus von Schlüter und eine moderne Fassade?

Nein, beim Neubauschloss wurden ja viel mehr als drei Fassaden historisierend nachgebaut. Architekt Stella hat zu Schlüter viel dazu erfunden und so entstand außen und innen eine Melange. Das sorgt für Verwirrung. Zumal dafür die Geschichte der Ostmoderne geschliffen wurde. Zugegeben, bei Neubauten ist es Geschmackssache, ob man im Stil des letzten Jahrhunderts baut. Ich bin eher dafür, Material und Konstruktion ehrlich zu zeigen und wünsche mir innovativere, zeitgenössische Ansätze, insbesondere auch im Städtebau. Vor allem müssen wir dem Klimawandel und zunehmenden Ressourcenmangel gerecht werden. Und deshalb kommt Sanierung vor Neubau.

In der Praxis aber nicht, oder?

Nein, es wird wie wild abgerissen. Nicht mal die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Mitte hat die Erhaltung und Ertüchtigung der Bausubstanz verinnerlicht. In der Nähe meines Büros wird das Jugendzentrum Moabit aus den 1970er Jahren gerade abgerissen. Und mit dem Abriss werden die Jugendlichen aus Mitte verdrängt, die hier einen Campus mit Schule, Freizeit, Sport und Erholungsflächen neben einer Kita und Jugendheim haben könnten. Der Bezirk bzw. das Land Berlin hatte jahrelang keinen Cent in die Instandhaltung investiert. Der unansehnliche Gebäudezustand dient dann zur Rechtfertigung des Abrisses. Diese Sparpolitik ist fatal, ökologisch, ökonomisch und sozial.

Die Öffentliche Hand agiert wie ein privater Spekulant?

Jedenfalls gibt es bei vielen öffentlichen Gebäuden kein ausreichend hohes Budget für die Instandhaltung. Ein anderes Beispiel ist das Airport-Gebäude am Tempelhofer Feld. Die Polizei ist ein wichtiger Mieter. Weil aber die Stränge nicht saniert werden, platzen Rohre und der Mieter denkt über den Neubau eines Gebäudes nach. Bei nicht denkmalgeschützten Häusern wie in Moabit wird dann abgerissen. Mit dem Gebäude verschwindet der Raum für Kinder und Jugendliche in dem Quartier. Es ist wie beim Palast der Republik: Erst nutzten Künstler den Rohbau, dann zogen sie in ein Provisorium auf der Freifläche gegenüber, dann verschwanden Palast, Provisorium und Künstler.

Der Abriss von Altbauten ist ein Motor der Verdrängung auch am Wohnungsmarkt?

Aber natürlich, weil mit den Häusern oft auch die Mieter verschwinden. Sie hatten Mietverträge zu günstigen Konditionen. Sofern ihnen überhaupt eine Wohnung im Neubau angeboten wird, können sie sich diese nicht leisten.

Neubau ist praktisch und kostet oft weniger als Instandsetzung …

Nur wenn die „graue Energie“ nicht berücksichtigt wird. Aber Baustoffe einfach wegzuschmeißen, die CO2 binden, ist eine altmodische Sichtweise. Von der EU und dem Bund kommen klare Vorgaben zugunsten der Bestandserhaltung. Das zeigen die Fördermodelle. Neubau wird – von extrem energieeffizienten Gebäuden abgesehen – nicht mehr gefördert. Wer abreißt, ist von gestern.

Bausenator Geisel steht unter Druck, er muss 20 000 Wohnungen jährlich bauen. Vieles auf Landesflächen und gegen Widerstand von Anwohnern. Wie soll das gehen?

Indem wir mit Ressourcen kreativ umgehen. Unfair wäre es, wenn landeseigene Grundstücke zubetoniert würden. Da verstehe ich, dass Bürgerinitiativen aufbegehren. Oft sind es sehr dichte Quartiere, denen im grün geprägten Innenhof noch ein Block vor die Nase gesetzt wird. Verträglicher ist es, wenn ein Geschoss auf bestehende Häuser gesetzt wird und dafür ein Aufzug barrierefrei für alle kommt oder eine gemeinsame Dachfläche als Begegnungsstätte, damit es einen Mehrwert für alle Bewohner gibt. Das ist mit viel Abstimmung verbunden und definitiv nicht billiger als Neubau. Aber wenn man eh sanieren muss, hat es auch Vorteile.

Sie sprechen von einer Abrisswelle, wo zum Beispiel?

Ein krasser Fall ist die Habersaathstraße, das ehemalige Schwesternwohnheim der Charité in Mitte. Das wurde während des Ausverkaufs landeseigener Immobilien in der Ära von Finanzsenator Sarrazin erst an einen ehemaligen Mitarbeiter der Charité verkauft, dann zwei Mal weiterverkauft und die Wohnungen nach und nach leergezogen. Über 80 möblierte, intakte Wohnungen standen jahrelang leer. Acht Mieter mit alten Werksverträgen wollen nicht ausziehen. Als vor Weihnachten eine Obdachlosen-Initiative die Nutzung durchsetzte, zeigte sich, was die Bauaufsicht Mitte immer wusste, dass die Apartments gut nutzbar sind. Feuermelder wurden durch die Initiative nachgerüstet. Das ist eigentlich die Pflicht des Eigentümers. Und nun wäre die notwendige Instandhaltung im ganzen Haus nachzuholen. Aber der kümmert sich seit Jahren nicht drum. Die Anlage wäre ein Fall für die Rekommunalisierung. Die Politik könnte die Wohnungen auch gut den stark beanspruchten Pflegerinnen aus der Charité in unmittelbarer Nähe ihres Arbeitsplatzes anbieten.

Der neue Bausenator will Tempo machen beim Bauen und will auf die Branche zugehen. Die fordert Erleichterungen beim Neubau, ökologische Abwägungen sind da eher störend …

Der Bausenator hat aber auch zwei Koalitionspartner, Linke und Grüne, und die werden auf die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag pochen. Die Proteste gegen die Verdichtung der Wohnhöfe am Schlosspark in Pankow, an der Ossietzkystraße, zeigen das Spannungsfeld. Die Höfe sind Lebensräume, die speziell in Corona-Zeiten für die Bewohner einen hohen Stellenwert haben. Hinzu kommen die Wirkungen des Grüns auf das Mikroklima und die Artenvielfalt. Wir brauchen versickerungsfähige Flächen. Wir werden mehr Starkregen-Ereignisse bekommen. Und es ist teuer, wenn man den Niederschlag immer in die Entwässerung leiten muss. Dann steigen die Nebenkosten, die das Wohnen noch teurer machen.

Ein herber Rückschlag für das nachhaltige Bauen, das Berlin anstrebt, ist der Preisanstieg für Holzbauleistungen um mehr als 30 Prozent. Ist Holz als Baustoff jetzt tot?

Die hohen Preise werden manchen Bauherren wieder von dieser Möglichkeit abbringen. Aber die Fokussierung auf Holz als Baustoff ist nicht hilfreich. Ob es nachhaltig ist, hängt von der Herkunft ab, wenn es aus den Tropen kommt, weite Transportwege hat und nicht schnell genug in heimischen Wäldern nachwächst, dann eher nicht. Andererseits können sich Lieferengpässe auch wieder auflösen. Stahl ist ebenso wesentlich teurer geworden. Auch das spricht dafür, mit den vorhandenen Ressourcen kreativ umzugehen, mit kreislauffähigen Materialien zu bauen – und nicht abzureißen.

Das Interview führte Ralf Schönball.

Muss das weg? Theresa Keilhacker hat sich am Jugendzentrum Moabit in der Rathenower Straße fotografieren lassen. Das Gebäudeensemble aus den 1970er Jahren soll abgerisssen werden – für die Präsidentin der Architektenkammer auch eine Folge der nachlässigen Instandhaltung durch die öffentliche Hand. Foto: Sven Darmer