Berlin - Wie wichtig den Ampel-Parteien die Planungsbeschleunigung ist, zeigen schon zwei Formalien. Das Thema wurde bei den Koalitionsgesprächen von Arbeitsgruppe eins verhandelt und im Koalitionsvertrag finden sich ihre Ergebnisse ganz vorne, auf den ersten Seiten. Wenn in Deutschland nicht doppelt so schnell geplant wird, kann die Energie- und Verkehrswende nicht gelingen, lautet dabei die Botschaft. Die Planungszeiten für neue Windräder, Stromtrassen und Bahnstrecken möchten SPD, Grüne und FDP „mindestens halbieren“. Bereits im ersten Jahr der Regierung wollen sie die dafür nötigen Reformen beschließen und verabschieden.

Ein ambitioniertes Ziel – für das eine Expertin für Planungs- und Umweltrecht im Koalitionsvertrag aber „den roten Faden“ vermisst. „Die Parteien haben ein großes Füllhorn an Maßnahmen aufgeschrieben, aber es fehlen die Gewichtungen“, sagt die Rechtswissenschaftlerin Sabine Schlacke von der Universität Greifswald.

Ähnlich sieht das der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Die Parteien hätten sich in den Koalitionsverhandlungen offensichtlich eher überboten als gebremst, heißt es aus dem Industrieverband. Setzten die Ampel-Parteien all dies um, „wären wir wunschlos glücklich“. Bei vielen Vorhaben gebe es jedoch „dutzende ungeklärte Fragen der genaueren Ausgestaltung“, bei denen zudem stets mehrere Ministerien – etwa Verkehr, Umwelt und Justiz – zusammenarbeiten müssten. Beim BDI befürchtet man deshalb, dass die Ampel-Partner Konflikte lediglich in die Legislaturperiode hinein verschoben haben.

Ein Vorwurf, den der FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle nicht gelten lässt. Allen Ampelparteien seien schnellere Planungen wichtig, sagt er. „Die SPD will viele neue Wohnungen bauen, die Grünen Windräder und wir wollen die Verkehrswege erneuern.“ Eine Halbierung der Planungszeit erreiche man dabei nur, wenn man alle möglichen Maßnahmen einbeziehe. Im Koalitionsvertrag erkennt Kuhle dennoch eine klare Strategie für schnellere Planungen. Die Ampelparteien wollten Geld für mehr Personal bereitstellen, die Planung digitalisieren und das Planungsrecht vereinfachen, sagt er.

Mit den Ländern will die Ampel einen Pakt für schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren schließen, damit Behörden und Verwaltungsgerichte deutlich mehr Personal erhalten. Zusätzlich soll der Bund „Beschleunigungsagenturen“ schaffen, bei denen Länder und Kommunen Planer:innen ausleihen können. Staatliche Behörden sollen außerdem private Projektmanager:innen häufiger einsetzen können.

Sabine Schlacke hält diese Schritte gegen den Personalmangel für zentral. In manchen Bundesländern beschäftigten sich derzeit gerade einmal eine Handvoll Behördenmitarbeiter:innen mit der Genehmigung neuer Stromleitungen und Windkraftanlagen. „So werden wir die Energiewende nie schaffen“, sagt die Verwaltungsrechtsexpertin.

Für digitale Planungsverfahren soll es zukünftig standardisierte IT-Schnittstellen zwischen Bund und Ländern und ein digitales Portal für Umweltdaten geben. Wenn ein Gelände einmal kartiert und die ansässigen Tier- und Pflanzenarten erfasst wurden, sollen die Behörden diese Daten möglichst lange verwenden können. Außerdem will die Ampelkoalition Infrastrukturplanung mit 3D-Modellierungen (Building Information Modelling) endlich zum Standard machen. Sie bietet unter anderem den Vorteil, dass Anwohner:innen früh plastisch sehen, wie etwa eine neue Bahnlinie sich in die Landschaft einfügt.

Für Till Steffen von den Grünen ist die frühe Bürgerbeteiligung der zentrale Hebel für schnellere Planungen. „Dass gerichtliche Verfahren zuletzt so viele Infrastrukturprojekte ins Wanken bringen konnten, lag auch an Planungsfehlern“, sagt der neugewählte Abgeordnete und frühere Hamburger Justizsenator. Damit die Behörden Gerichtsverfahren zukünftig vermeiden könnten, bräuchten sie neben mehr Personal auch eine größere Offenheit für die Argumente von Kritiker:innen. Probleme, die sich bei einem frühen „Scooping“ zeigten, könnten dann in vertieften Untersuchungen berücksichtigt werden. Steffen ist es deshalb wichtig, dass im Koalitionsvertrag neben der frühen Bürgerbeteiligung auch eine „auf Rechtssicherheit und Vertrauen fußende“ Planung festgeschrieben wurde.

Als Vorbild hierfür sieht Werner Reh vom Umweltverband BUND die Deutsche Bahn. Beim Bau neuer Strecken führt der Staatskonzern inzwischen in einem frühen Projektstadium standardmäßig sogenannte Dialogforen mit Anwohner:innen durch. Teilweise seien dadurch in einem knappen Jahr jahrzehntelange Konflikte aufgelöst worden, sagt Reh. „Es ist deshalb gut, dass die Ampel solche frühen Beteiligungsformen nun zur Regel macht.“ Allerdings brauche es klare Standards, betont Reh. „Die Bahn braucht für ihre Dialogforen im Schnitt vier Jahre. Das ist deutlich zu lang.“

Bei vielen Bauvorhaben wollen die Ampel-Parteien die Bürgerbeteiligung allerdings auch zurückfahren: bei den sogenannten Ersatzneubauten. Wenn eine einsturzgefährdeten Autobahnbrücke ersetzt wird oder eine Bahnstrecke erneuert wird, soll zukünftig auch bei leicht abweichenden Maßen statt einer aufwendigen Planfeststellung eine einfache Plangenehmigung reichen. Wichtige Neubauprojekte soll der Bund laut Konstantin Kuhle mit „kurzen Fristen zum Erlass des Planfeststellungsbeschlusses“ vorantreiben. Behörden müssten diese Projekte – etwa „systemrelevante Bahnstrecken, Stromtrassen und Ingenieursbauwerke“ – dann prioritär bearbeiten. Diese Regel war den Grünen besonders wichtig. So könne man erreichen, dass primär Bahnstrecken und nicht neue Straßen geplant werden, erklärt Till Steffen. Eine Reihe von bedeutenden Strecken für den Deutschlandtakt sowie die Hochspannungs-Stromleitungen SüdLink, SüdOstLink und Ultranet wollen die Ampel-Parteien statt von Behörden vom Bundestag per Gesetz genehmigen lassen.

Allgemein wurde im Vertrag der kommenden Koalition festgeschrieben, dass der Naturschutz gegenüber dem Klimaschutz in Zukunft zurückstehen muss. Neue Windkraftanlagen, Stromtrassen und der Ausbau elektrifizierter Bahnstrecken liegen für die Ampel-Parteien im „öffentlichen Interesse“ und dienen der „öffentlichen Sicherheit“ – ein Ausnahmefall, bei dem laut Europarecht der Naturschutz zurückstehen muss.

Für die Grünen ist das ein Paradigmenwechsel, der in mancherlei Hinsicht an die Zustimmung für den Kosovo-Krieg erinnert. Wie damals den Pazifismus relativiert die Partei nun beim Regierungseintritt den Naturschutz. Denn einfach übersetzt bedeuten diese Worte schlicht: Ein paar Zauneidechsen sollen die Energie- und Verkehrswende nicht länger aufhalten. Caspar Schwietering