Ike-Jime-Saibling, Ziegen-Kroketten, Blutwurst mit Kartoffelschaum und Röstzwiebeln, Hühnerhaut im Bao-Bun, „Veggie Tuna“ aus Wassermelone mit Dashi und Wasabi: bekommt man alles – in Brandenburg. Köchinnen und Köche, die ihr Handwerk oft in Berlin oder der weiten Welt lernten und verfeinerten, prägen zwischen Spreewald und Uckermark seit Jahren einen neuen Regionalstil: durchdacht, mit Anspruch – und auf Basis der immer feineren Produkten, die Felder, Gärten und Seen dort hervorbringen. Elf Adressen, die jederzeit einen Abstecher wert sind.

Michelberger Farm

Das schönste Restaurant in Brandenburg – muss man ohne Schuhe betreten. Eingeführt haben Nadine und Tom Michelberger vom gleichnamigen Hotel in Friedrichshain die Regel, da war ihre Farm im Spreewald noch Baustelle und der neue Boden sollte nicht verkratzt werden.

Jetzt, da der aufregende Neubau von Sigurd Larsen aus Glas und rotem Klinker den alten Vierseithof komplettiert, sitzt man barfuß, in Socken oder Hausschuhen am Gemeinschaftstisch und fühlt sich dabei, als sei man zu Gast bei Freunden – mit sehr gutem Geschmack und sehr gutem Essen.

An der langen Tafel aus Holz der alten Scheune, die hier früher stand, teilt man, was auf dem nach regenerativen Prinzipien bepflanzten Feld gerade wächst. Farm Dining quasi: Gegrillte Tomaten, Zucchini und Patisson-Kürbisse, die nie das Kühlhaus gesehen haben, mit karamellisierten Zwiebeln gefülltes Milchbrot, Kroketten mit Ziegenfleisch, Gnocchi mit gegrilltem Kalbsfleisch vom Gut Ogrosen, zwei Dörfer weiter. Am Ende Madeleines mit Feigenblättern und Pawlowa mit Beeren, die bis eben an den Sträuchern baumelten. Das Menü sei oft spontan, sagt Köchin Greta Siuparyte, jeder Abend eine Jam Session. Und eine, die mit 45 Euro überraschend günstig ist.

Wer danach nicht zurück nach Berlin mag: 25 Betten hat das smarte neue Farmhaus. Und doppelt so viele Hausschuhe. Mindestens. fx

Dorfstr. 26, Vetschau/OT Naundorf, Do-So ab 18 Uhr, michelberger.farm

As am See

Andreas Staack hat alles schon gesehen im noblen Badeort am Scharmützelsee – vor allem, wie immer mal ein Boom der Gastronomie verkündet wurde, der dann doch wieder in sich zusammensank. Ihm egal: Der aus Berlin kommende Küchenchef, der in der Nebensaison schon mal allein arbeitet und sogar die Teller rausträgt, serviert auch dann noch seine feinen Gerichte, wenn die Hotels drumherum schon die Nachtruhe ausrufen.

Seine persönlich gefärbte Autorenküche verkämpft sich nicht im Regionalen, sondern folgt dem Marktangebot, was zu Gerichten wie der rohen Bernsteinmakrele mit Avocado, Couscous und Chili oder dem Steinbeißer mit Schmorgurken und Passe-Pierre-Öl führt. Auch das Weinangebot ist ständig in Bewegung, aber Staack kennt sich aus und empfiehlt, was wirklich passt und bezahlbar ist. Fünf Gänge kosten 60, mit Wein 100 Euro, das ist brandenburgischer Rekord in Sachen Preis-Leistung. Und auf der Terrasse der kleinen Villa sitzt der Gast mitten im leichten Bad Saarower Leben. bm

Seestr. 9, Bad Saarow, Mi-Sa 18-22, So 12-15 Uhr, asamsee.de

Köllnitzer Hofküche

Köllnitz und Fisch – das war schon zu DDR-Zeiten eine Selbstverständlichkeit, ein 1-a-Ausflugziel am Rande der Groß-Schauener Seenkette, heute mitten im Naturpark Dahme-/Heideseen. Seit einigen Jahren kümmert sich um Haus und Fischwirtschaft die konzeptstarke Artprojekt-Gruppe, die in Bad Saarow – und neuerdings auch Strausberg – mit Trattoria und Neo-Gasthäusern der Marke „Freilich“ erfolgreich ist.

Hier will man mehr: Küchenchef Stefan Ziegenhagen hat freie Hand, ein wenig in Richtung Gourmetküche aufzustreben, und aus den einstigen „Fischerstuben“ wurde die stilistisch freiere „Hofküche“. Doch Basis ist der starke Regionalbezug, der in Gerichten wie Erdbeergazpacho mit Karpfenschinken und Balsamico, Ackersalat mit Rettich oder Räucheraal mit Gurke, Rettich und Sojareduktion sichtbar wird. Drei Gänge mit vielen Wahlmöglichkeiten kosten für zwei Personen 68 Euro, aber auch á la carte ist viel verfügbar – kein Wunder, liegt das Hauptaugenmerk doch auf dem Mittagsgeschäft. Hofladen, Hotelzimmer. bm

Groß-Schauener Hauptstr. 31, Storkow/Mark (OT Groß Schauen), Mi, Do, So 11-17, Fr/Sa 11-20 Uhr, koellnitz.de

Wilde Klosterküche

Neuzelle ist bekannt für Kloster und Bier. Nichts dagegen – aber viele Besucher haben den Ort im äußersten Osten Brandenburgs erst kennengelernt, weil Manuel Bunke dort 2018 seine „Wilde Klosterküche“ gründete und Feinschmecker anzog, die sonst nie über Bad Saarow hinaus gekommen wären. Ein Mönch ist er nicht, aber er war der erste, der in dieser Gegend das Modell der neuen skandinavischen Regionalküche etablierte, strikt regionalbezogen, gemüsebetont und von ethischen Überlegungen in Richtung „Nose to tail“ und „Von der Wurzel bis zum Blatt“ getragen.

Manches Gemüse kommt aus dem nahen Klostergarten, vieles aus der weiteren Umgebung. Die Blutwurst beispielsweise macht Bunke selbst und serviert sie mit Kartoffelschaum und Röstzwiebeln, es kann einen Karotten-Pastinaken-Salat mit Kräutern und Dillmayonnaise geben oder Kabeljau mit Selleriecreme und Erbsen; zur abgelaufenen Saison wurde sogar Spargel mit Schnitzel und Hollandaise gesichtet… Drei Gänge kosten 57 Euro, aber auch Essen à la carte ist möglich. bm

Bahnhofstr. 18, Neuzelle, Do-So 11.30 bis 14 und 17-21 Uhr, auch Hotelzimmer, wildeklosterkueche.de

Fritz am Markt

Der gestandene Hotelier Frieder Niemann sucht kleine Hotel-Aschenputtel und macht sie als eine Art nobles Bed & Breakfast wieder flott – erst in Lychen, dann in Werder, aktuell auch schon vor den Toren Hamburgs, immer mit gemütlich-stilvoller Ausstattung und persönlicher Atmosphäre. In Werder gab es gleich auch ein Restaurant dazu: Das „Fritz am Markt“ trägt die Lage inmitten der hübschen Altstadtinsel schon ebenso im Namen wie das betont regionale Küchenkonzept der „brandenburgischen Tapas“.

Die feinen Gerichte von Küchenchef Christian Heymer können geteilt werden, müssen aber nicht: „Da ham wa den Salat 2.0“ heißt der Kopfsalat mit Waldmeister und kandierten Zwiebeln, der „Bicken Churger“ kommt mit Hühnerhaut im Bao-Bun, und „Auf dem Beichtstuhl“ werden Bete mit Austernsaitlingen gereicht, alles zu Preisen zwischen 9 und 22 Euro. Obendrauf gibt es gute, bezahlbare Weine und eine kleine Terrasse zum Markt hin. Hunde sind im ganzen Haus ausdrücklich gern gesehen. bm

Am Markt 7, Werder (Havel), Mi-Fr 18-21, Sa/So 12-21 Uhr, meinwerder-hotel.de

Goldener Hahn Finsterwalde

Brandenburgs bestes Restaurant ohne Michelin-Stern befindet sich schon seit über 25 Jahren in Finsterwalde am Bahnhof – seit nämlich Frank Schreiber eine aussichtsreiche Koch-Karriere abbrach, um in das schon zu DDR-Zeiten hochgeschätzte Gasthaus der Familie einzusteigen. Er ist ein filigraner Handwerker, der sich nach und nach in die kulinarischen Traditionen seiner Heimat einarbeitete, aber stets auch einen Blick in die Welt wirft und deshalb nie stehengeblieben ist. So kann er ein Weiß-Sauer von der Ente nebst Entenleber und Kirschen mit gleicher Überzeugungskraft servieren wie Rotgarnelen mit Knusper-Nori oder Lammrücken mit Kefir-Senf.

Stammgäste wissen, warum sie nie das Dessert auslassen, beispielsweise Holunderblüten-Joghurtmousse mit Kirschen, Mandel-Knusper und Minze (Menüs 70/140 Euro, auch á la carte). Iris Schreiber kuratiert die gute Weinauswahl und ist in der ganzen Region für ihre kulinarischen Lesungen bekannt. Neu: Am Küchentresen serviert Schreiber auch Gasthaus-Klassiker wie Leinöl mit Quark, Schnitzel oder Ochsenbacken. bm

Bahnhofstr. 3, Finsterwalde, Mi-Sa 17.30 bis 21 Uhr, goldenerhahn.com

Lou

Fürst Pückler liebte nicht nur Genüsse aller Art, er dokumentierte sie auch pedantisch. Aus seinen Tafelbüchern, in denen sein Hofmarschall notierte, wer im Schloss Branitz zum Essen und was dabei auf den Tisch kam, hat Tim Sillack mit der Historikerin Marina Heilmeyer das Buch „Zu Gast bei Fürst Pückler“ zusammengestellt. Leibspeisen des Foodie-Fürsten finden sich immer wieder auch im „Lou“, dem Gourmetrestaurant, das der gebürtige und weitgereiste Cottbusser im frisch renovierten Cavalierhaus gleich vis-a-vis des Schlosses betreibt. Etwa die Artischocken à la Barigoule. Sillack baut sie gekonnt in seinen modernen, leicht französisch geprägten Stil ein, den er mit regionalen Elementen ergänzt. Manchmal gibt es auch Vintage-Witzigmann-Gerichte wie Hechtnocken Beurre blanc und Kaviar.

Wer sich keins der eleganten abendlichen Menüs gönnen will, sondern tagsüber nach einem Spaziergang durch den historischen Park Lust auf was Kleines hat: Auf der schönen Restaurantterrasse bekommt man bis 16 Uhr Flammkuchen und Quiche – natürlich auch hausgemachtes Fürst-Pückler-Eis. fx

Schlosspark Branitz, Do-So 11-21 Uhr, cavalierhaus-branitz.de/lou

Inspektorenhaus

In Brandenburg/Havel war kulinarisch schon mal mehr Aufbruchstimmung, vor allem im Jahr 2015 rund um die Buga. Doch die Schönheitskur für die früher recht unansehnliche Stadt hat immerhin dauerhafte Spuren hinterlassen, das ist gut für den Tourismus. Einer, der schon lange dabei ist und die Kontinuität pflegt, ist Benjamin Döbbel, Inhaber und Küchenchef im kuscheligen „Inspektorenhaus“ in feinster Altstadtlage gleich neben dem Roland. Seine Küche geht mit der Zeit, ohne aufgesetzt modisch zu wirken, gute regionale Lieferanten sind selbstverständlich. So gibt es Bachforelle von den „25 Teichen“ mit Granny Smith, Kohlrabi, Meerrettich und Ziegenkäse, ein Stundenei vom Freilandhuhn mit Staudensellerie, Speck, Trüffel und Schnittlauch-Infusion oder Zweierlei vom Bergsdorfer Wiesenrind mit Kartoffeltarte, Pfifferlingen und wildem Brokkoli. Verpackt ist das alles in zwei Fünf-Gang-Menüs „Fleisch“ und „Fisch“, jeweils um die 80 Euro. bm

Altstädtischer Markt 9, Brandenburg/Havel, Mi-Sa ab 17.30 Uhr, inspektorenhaus.de

Alte Überfahrt

Thomas Hübner ist ein Sternekoch mit grünem Daumen. Was er in der „Alten Überfahrt“ in Werder kocht, beheimatet in einem stolzen Backsteingebäude direkt am Wasser, erntet er selbst im Schlossgarten Petzow, der gerade mal elf Minuten mit dem Auto entfernt ist. So prägt natürlich Gemüse und der Wechsel der Jahreszeiten sein italienisch inspiriertes Fine-Dining-Menü. Weil Hübner die Pflanzpläne in Petzow mitentwickelt, kann er aus dem Vollen schöpfen und mit seltenen Sorten arbeiten: Sibirischer Kohl, Slim Jim Auberginen, französische Kürbisse wie der Ufo-förmige Patisson, besondere Tomaten, aber auch seltene Kräuter. Süßwasserfische wie der Ike Jime Saibling von der Mürzitz und Wild wie gerade der Maibock komplettieren sein Programm, das man übrigens auch à la carte bestellen kann. Immer gut: alles, was Hübner mit Pasta macht.

Bei gutem Wetter sitzt man draußen mit Blick auf den Steg, an dem auch heute noch Fähren aus dem gegenüberliegenden Wildpark Potsdam anlegen. fx

Fischerstr. 48 b, Werder, Di-Fr 18-22 Uhr, Sa, So 12-15, 18-22 Uhr, alte-ueberfahrt.de

Kleinod / Schloss Reichenow

Diese Anlage ist der Traum jedes Hochzeitsplaners – aber auch ohne Eheversprechen jegliche Anfahrt wert: Schloss Reichenow, eigentlich ein Herrenhaus im Tudor-Stil aus dem 19. Jahrhundert, gehört nicht umsonst zur Vereiniung der Romantik-Hotels. Es liegt bildschön in einem Park am Rand des Oderbruchs oberhalb eines kleinen, auch zum Baden geeigneten Sees. Hausherr Jan Eilers hat dem Restaurant zuletzt den Namen „Kleinod“ und Tomasz Niemczyk das Amt des Küchenchefs gegeben, und der dankt mit einer Erweiterung des kreativen Spektrums hin zum „Veggie Tuna“ aus Wassermelone mit Dashi und Wasabi oder zum Hirschrücken mit Topinambur, Kirschen, Espresso und weißer Schokolade.

Die Preise bleiben mit 22-38 Euro für Hauptgänge im bürgerlichen Rahmen, und vernünftig sind auch die Preise auf der Weinkarte, die die Erwartungen weit übertrifft – das wird manchen Gast spontan in einem der stilvoll schlichten 22 Zimmer stranden lassen, am besten mit Zwischenstopp an der gut sortierten Bar. bm

Alte Dorfstr. 1, Reichenow-Möglin, Restaurant Mi-Fr 17-21, Sa/So 12-21 Uhr, schlossreichenow.com

Hasenpfeffer

Neues im Westen: Im Restaurant des Golf-Resorts Semlin will Christopher Franz was beweisen, mit einer Küche zwischen Moderne und französischer Klassik – mehr darüber in der Restaurantkritik auf S. 23.