Die großzügigen Räume sind bereit zur Übergabe. 32 Jahre lang hat Renate Ockel, 64, in der Fabriketage in der Schöneberger Akazienstraße Yoga unterrichtet. Im 85 Quadratmeter großen Saal spenden die gelben Lampen noch immer ihr warmes Licht. Der kleinere Übungssaal misst immerhin 75 Quadratmeter. Ende Februar ist das im dritten Stock des Seitenflügels gelegene „Yogazentrum Akazienhof“ ausgezogen. Es wurde noch einmal mit einer großen Online-Party Abschied gefeiert. Viele Yogaschülerinnen und -schüler schalteten sich von ihren heimischen Computern aus dazu.

Renate Ockels Mietvertrag ist ausgelaufen. Hätte sie verlängern wollen, müsste sie ab März ein Vielfaches der bisherigen Miete aufbringen. Bisher zahlte sie acht Euro warm für den Quadratmeter. Der Eigentümer, ein Immobilienfonds, verlange nun 18 bis 20 Euro, sagt Ockel. Kaltmiete! Mit einem Yogastudio kaum zu erwirtschaften. Persönlich hadert sie jedoch nicht; für sie schließt sich nun dieses Kapitel. „Jetzt bin ich frei für etwas Neues.“

Der Akazienkiez ist nach wie vor wegen einer guten Mischung von alt eingesessenen kleinen Geschäften, Kneipen und Restaurants beliebt. Verdrängungstendenzen, wie die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, sind auch hier inzwischen unübersehbar. „Die ganzen Familien, die hier wohnen, werden es sich nicht leisten können, ihre Wohnungen zu kaufen“, sagt Renate Ockel. Und finanzkräftig wird auch der sein müssen, der die hohe Miete für ihre bisherigen Räume zahlen muss. Wer sie übernimmt, weiß sie nicht. Beim Interviewtermin gibt es im Studio keine Stühle mehr. Ockel, deren Haltung die jahrzehntelange Yogapraxis ausstrahlt, setzt sich für das Gespräch im Schneidersitz auf den Boden des hellen Saales und hat keine Mühe, in dieser Position länger als anderthalb Stunden kerzengerade sitzen zu bleiben. Wenn sie zwischendrin kurz aufsteht, macht sie das mit Leichtigkeit. Andere müssten die Beine lockern und ausschütteln.

1976 kam Renate Ockel zum Psychologiestudium von Hannover nach Berlin. Yoga entdeckte sie Anfang der achtziger Jahre eher zufällig. Sie suchte etwas, das gegen Rückenschmerzen hilft, und stieß in der einstigen West-Berliner Traditionsbuchhandlung Kiepert auf ein Buch: „Yoga für Jeden“. Damit unterrichtete sie sich selber.

Und es half gegen die Rückenschmerzen. „Die Yogaszene in Berlin war damals überschaubar und sehr esoterisch, sektenhaft“, sagt sie. Nicht ihr Fall. Aber an Yoga blieb sie dran. 1987 entschied sie sich, in San Francisco eine einjährige Ausbildung zur Yogalehrerin zu machen – nach der Methode von B. K. S. Iyengar, einem der führenden Yogalehrer aus dem indischen Pune. 1988 kam sie nach Berlin zurück. Iyengar bot eine Yogaausrichtung, die ihr wegen der Klarheit und der Genauigkeit in der Ausführung sehr entgegenkam. Mit der in der Yoga-Community immer wieder anzutreffenden Verehrung für die Yogameister als Gurus kann Renate Ockel nichts anfangen, ebensowenig mit den dadurch entstehenden hierarchischen Strukturen.

Die Fabriketage hatte damals das spirituell angehauchte Zentrum „Zeitlos“ gemietet; dort konnte Renate Ockel Yogaklassen anbieten. 2003 übernahm sie dann die gesamten Räume und richtete ihr „Yogazentrum Akazienhof“ ein. Der Mietvertrag lief zunächst über sechs Jahre und beinhaltete vier Mal eine weitere Option für je drei Jahre. Die schöpfte sie letztlich komplett aus.

Während sie bis dahin nur sechs Kurse in der Woche gegeben hatte, wurde der Umfang der Kurse später ausgeweitet. Ockel setzte auf die Zusammenarbeit mit einem Team; gemeinsam boten sie und die anderen Yogalehrer:innen 30 Kurse wöchentlich an. Bereits in den neunziger Jahren hatte Yoga in der öffentlichen Wahrnehmung enorm an Beachtung gewonnen. „Es stand inzwischen in jeder Brigitte“, sagt Ockel. Der Zulauf sei damals groß gewesen.

Viele ihrer Schülerinnen und Schüler kommen schon jahre-, teilweise jahrzehntelang. Das ist Renate Ockel wichtig, von Studiohopping, wie es heute über Sport-Apps wie „Urban Sports“ möglich ist und besonders von Jüngeren praktiziert wird, hält sie nichts. Sie mag es, ihre Schülerinnen und Schüler, deren Probleme oder Stärken zu kennen.

Das hat sich auch im Lockdown bewährt, als im Yogazentrum kein Präsenzunterricht stattfinden konnte. Ockel, wie auch ihr Team, unterrichtete online. Auch beim Zoom-Kurs weiß sie, wie sie individuell Hilfestellung geben kann. Online-Unterricht will Renate Ockel vorerst weiter geben. Dazu braucht sie das Studio nicht, das geht auch von zu Hause.

In Bewegung. Renate Ockel, 64, schaffte es, mit Yoga-Übungen den eigenen Rücken zu heilen, spezialisierte sich und gibt seit Jahrzehnten selber Unterricht – künftig aber nur noch online. Foto: faces by frank/promo