Otto, Max und Therese wachsen bei ihrer Großmutter in Berlin auf. Zusammen ziehen sie zu Onkel und Tante nach Bohnsdorf, einem Ortsteil von Treptow-Köpenick. Die Kinder gehen in die Schule, helfen der Familie im Haus und auf dem Feld. Es sind die 1930er-Jahre.

„Im Juni standen plötzlich die SA und die Polizei vor der Tür“, heißt es im zweiten Kapitel der Graphic Novel über das Leben von Otto Rosenberg. Auf dem dazugehörigen Bild reibt sich ein Junge die schlaftrunkenen Augen, während er durchs Fenster schaut und draußen bewaffnete Männer sieht.

Rosenberg, der sich als Sinto-Deutscher verstand, war Mitbegründer und langjähriger Vorsitzender des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg. Er war außerdem Vater der Sängerin Marianne Rosenberg und verstarb 2001 im Alter von 74 Jahren.

Die Graphic Novel ist eine von zweien des Projekts „Digital Lines of Life and Death: Nazi persecution of Sinti and Roma in Hybrid Graphic Novels“ (Digitale Linien von Leben und Tod: Die Verfolgung von Sinti:zze und Rom:nja im Nationalsozialismus in hybriden Graphic Novels) der Europäischen Akademie Berlin. Neben der Graphic Novel über das Leben von Otto Rosenberg gibt es einen weiteren Comic über die aus Tschechien stammende Überlebende Emilie Danielová. Beide Geschichten sind ausschließlich online zu lesen. Man klickt sich durch die Kapitel, zwischendurch gibt es Hintergrundinformationen, die gesondert angeklickt werden können.

Die Zeichnungen sind in Brauntönen gehalten. Meist gibt es eine Zeile Text, darunter das Bild, teilweise ergänzt durch Sprechblasen. Im zweiten Kapitel des Comics wird Otto Rosenberg ins Zwangslager nach Marzahn gebracht. Auf dem zugehörigen Bild sieht man Planwagen auf einem leeren Feld stehen, dazwischen Menschen. „Keiner verlässt den Platz!“ ruft ein Bewaffneter. Ein kleiner Junge – vermutlich Otto – sagt: „Oma, hier stinkt es“, woraufhin die Oma ihn anweist, ruhig zu sein. Per Klick ploppt ein Infokasten auf. Dort erfahren die Leser:innen, dass das Lager in Marzahn als größtes kommunales Zwangslager für Sinti:zze und Rom:nja im Deutschen Reich kurz vor den Olympischen Spielen 1936 in Berlin eingerichtet wurde. Die Begründung: Man wolle dem „Zigeuner- und Bettlerwesen“ ein Ende bereiten. Der Platz in Marzahn war umgeben von Rieselfeldern – hier wurden Berliner Abwässer ausgebracht; die hygienischen Zustände waren entsprechend schlecht. Untergebracht wurden die Menschen in alten Wohnwagen.

Der Völkermord an europäischen Sinti:zze und Rom:nja zu Zeiten des Nationalsozialismus sei erst spät als solcher anerkannt worden, heißt es auf der Webseite des Projekts. Sinti:zze und Rom:nja seien heute, lange nach dem Zweiten Weltkrieg, die größte und gleichzeitig am stärksten diskriminierte Minderheit in Europa. „Über ihre Geschichte und Kultur ist viel zu wenig bekannt.“

Das möchte das Projekt Digital Lines ändern und insbesondere jüngere Menschen für das Schicksal der Sinti:zze und Rom:nja sensibilisieren und zur Reflektion über Stereotype und Vorurteile anregen. Das Skript stammt von Johanna Sokoließ von der Europäischen Akademie Berlin, gezeichnet hat die Comics Pedro Stoichita, der als Illustrator und Comiczeichner in Berlin lebt. Projektpartner ist unter anderem die Gedenkstätte Zwangslager Berlin-Marzahn. Dem Projekt beigefügt sind didaktische Materialien für Lehrkräfte, um das Thema im Unterricht behandeln zu können.

Die Graphic Novel über Otto Rosenberg hat fünf Kapitel. Es geht um seine Kindheit und die Zeit im Zwangslager. Im dritten Kapitel kommt er im Konzentrationslager Auschwitz an – mit noch nicht einmal 16 Jahren. Die meiste Zeit war er dort im sogenannten Zigeunerlager untergebracht, musste zeitweise aber auch in der Strafkolonie schuften. In Auschwitz wurde Ottos Großmutter vergast, auch sein Vater, seine Brüder und seine Cousins wurden dort ermordet. Er selbst wurde später ins KZ Buchenwald überstellt, und musste dann im Außenlager Woffleben (Thüringen) Schwerstarbeit leisten. Schließlich ging es ins KZ Bergen-Belsen – das kurz nach seiner Ankunft befreit wurde.

Zu Fuß lief Otto Rosenberg nach Berlin. Das letzte Kapitel handelt von seinem Kampf um Entschädigungszahlungen und die Gründung der Cinti Union Berlin. Im Jahr 1982 schlossen sich die verschiedenen Landesverbände zum Zentralrat Deutscher Sinti und Roma zusammen. Diesem gelang schließlich die Anerkennung der Verbrechen des NS-Regimes an Sinti:zze und Rom:nja in Deutschland als Genozid.

Im Comic verkündet dies der damalige Kanzler Helmut Schmidt im Fernsehen, einem alten Kasten im Holzrahmen. „Den Sinti und Roma ist durch die NS-Diktatur schweres Unrecht zugefügt worden“, sagt Schmidt dort. „Diese Verbrechen haben den Tatbestand des Völkermords erfüllt.“ Das letzte Bild der Graphic Novel zeigt Rosenberg. Er sagt: „Wir haben gelitten, wir haben gekämpft, und wir werden nicht aufhören, bis die Diskriminierung endlich ein Ende hat!“

— Die beiden Graphic Novels können kostenfrei im Internet gelesen werden unter der Adresse www.digitallines.eu