Hohe Gaspreise, teurer Strom: Die Belastung durch Energiekosten wirft die deutsche Industrie im internationalen Wettbewerb immer weiter zurück. Die Produktion sinkt bereits deutlich. Experten warnen: Das Versprechen der Bundesregierung, teures, klimaschädliches Gas durch günstigeren, grünen Strom zu ersetzen, wird auf Jahre nicht erfüllbar sein.

Viele deutsche Unternehmen zahlen derzeit bis zu dreimal mehr für Strom als ihre internationale Konkurrenz. Das zeigen Berechnungen des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI), der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) und des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). „Spätestens mit der Energiekrise sind deutsche Strompreise im internationalen Vergleich nicht mehr wettbewerbsfähig“, sagte Holger Lösch, stellvertretender BDI-Hauptgeschäftsführer, dem Handelsblatt.

Die Produktion der energieintensiven Industrie steht den Berechnungen zufolge seit der Energiekrise erheblich unter Druck. Selbst zu Zeiten der Coronakrise produzierte sie deutlich mehr als in den ersten neun Monaten dieses Jahres. Das spiegelt sich auch im Gasverbrauch wider.

Nach Angaben der Bundesnetzagentur verbrauchte die Industrie in den ersten drei Quartalen des Jahres rund 20 Prozent weniger als im Schnitt der Jahre 2018 bis 2021. Der Stahlhersteller Thyssen-Krupp warnt: Die gestiegenen Energiekosten stellten „für energieintensive Industrien wie die Stahlindustrie eine existenzielle Bedrohung dar“.

Bis weit in die zweite Hälfte des Jahrzehnts bleiben die Vorhersagen düster. Erst von 2030 an besteht die Aussicht auf eine leichte Entspannung der Lage: Den Berechnungen von BCI, BCG und IW zufolge könnte bis 2030 eine kleine Gruppe sehr stromintensiver Industrieunternehmen unter eng definierten Voraussetzungen wieder wettbewerbsfähige Strompreise bekommen. Das setze allerdings voraus, dass der Bau von neuen Kraftwerken sowie der Ausbau von Netzen und erneuerbaren Energien wie von der Politik geplant voranschreite.

Ehrgeizige Ziele in weiter Ferne

Ob es tatsächlich so kommt, ist ungewiss. So ist eine Regelung für den Bau von Back-up-Kraftwerken seit Monaten überfällig. Die Back-up-Kraftwerke sollen zunächst mit Erdgas und später mit klimaneutralem Wasserstoff betrieben werden. In Zukunft liefern sie immer dann Strom, wenn die Erneuerbaren nicht ausreichend produzieren.

Der Ausbau von Windrädern und Fotovoltaikanlagen schreitet zwar voran, doch die ehrgeizigen Ziele, die für 2030 angepeilt werden, sind noch in weiter Ferne. Ähnliches gilt für den Ausbau der Netze, der seit Jahren den Zeitplänen hinterherhinkt. Das Haushaltsurteil des Verfassungsgerichts schafft weitere Unsicherheit.

Eigentlich waren 2,6 Milliarden Euro aus dem Klima- und Transformationsfonds dafür eingeplant, Kosten für die energieintensive Industrie zu kompensieren. Dazu sollten eigentlich weitere Milliarden aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds und dem allgemeinen Haushalt kommen, die nun auch infrage stehen.

Die Erwartung, dass nach 2030 eine Entspannung eintritt, geht allerdings nur auf, wenn bestimmte Ausnahmeregelungen für große Stromverbraucher fortgeführt werden.

In Deutschland hat sich im Laufe der vergangenen Jahre ein kompliziertes System von mittlerweile sechs Entlastungs- und Sonderregeln für die Strompreise der Industrie entwickelt. So will die Politik energieintensive Unternehmen im internationalen Wettbewerb von Entgelten, Steuern und Umlagen zumindest teilweise befreien.

Laut BDI, BCG und IW reicht die Spanne der Strompreise für die Industrie von 80 Euro je Megawattstunde (MWh) für maximal entlastete Unternehmen bis zu 190 Euro für Unternehmen mit geringer Strompreisentlastung, etwa im Fahrzeugbau. (HB)