Der Aschenbecher quillt über, die Wählscheiben der Telefone im Redaktionssekretariat stehen nicht still. 14 Kilometer Film werden jeden Monat gedreht für die allabendlichen Reportagen.

Zigaretten, Wählscheiben, Film: So hat eine kleine Truppe Radio-Journalisten 1958 begonnen, Fernsehen zu machen – die „Berliner Abendschau“. Vier Jahre später dokumentiert die Redaktion den Besuch des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy in Berlin. Die Bilder der 34 Kameras werden live in der gesamten BRD und in Teilen der DDR gesehen. 100 Sender übernehmen das Material. Sogar den Filmpreis gab es dafür. „Wir sind alle ins kalte Wasser geworfen worden. Wir hatten ja nur drei oder vier Jahre Fernseherfahrung“, sagt der damalige Abendschau-Moderator Harald Karas später dazu.

Es war Pioniergeist. Und es war eine Zeit, in der öffentlich-rechtlicher Rundfunk eine Selbstverständlichkeit war, Alltag und Ankerpunkt für alle. Heute ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk ein Medium von vielen, und seine Existenzberechtigung wird von manchen kritisch hinterfragt.

Eine Reform ist notwendig

Es läuft nicht alles gut im öffentlich-rechtlichen System. Der RBB ist in Kritik geraten, selbst verschuldet. Deswegen müssen Kontrolle und Transparenz besser werden.Es ist notwendig geworden, das System zu reformieren, aber es erscheint mir notwendiger denn je, es zu verteidigen.

In dieser Lage wünsche ich uns, den Programmmachern, den Pioniergeist der Gründerzeit: Einfach gutes Programm für das Publikum machen. Von der Öffentlichkeit und von der Politik erhoffe ich Augenmaß. Wer jetzt den öffentlich-rechtlichen Rundfunk beschneidet, der trifft am Ende den unabhängigen Journalismus.

Kein Zweifel, Respekt muss verdient werden. Dafür muss der RBB täglich vertrauenswürdige Information und exzellente Unterhaltung liefern. Die Herausforderungen hier sind riesig. Die gesamte Medienlandschaft ist im Umbruch. Das große Bild zeigt eine im Kern bedrohte Branche. Vieles von dem, was vor uns liegt, kennen wir nicht. Wir wissen nicht, was Digitalisierung und Künstliche Intelligenz noch bringen werden. Diese Woche sahen wir einen Kanzler Olaf Scholz, der einen Verbotsantrag der AfD ankündigte – es war eine digitale Fälschung. Um solche Bilder zu enttarnen und einzuordnen, braucht die Gesellschaft Journalismus, der nicht von Klickraten und „Likes“ abhängt.Journalisten sind die Kanarienvögel im Bergwerk der Geschichte. Wenn ihnen die Luft ausgeht, kränkeln Information und Debatte, dann gibt es bald nur noch Für oder Wider in den digitalen Chat-Gruppen und Meinungsblasen. Angesichts der vielen Herausforderungen, der historischen Krisen wird der solidarisch finanzierte, dem Gemeinwohl dienende Informationsraum gebraucht wie kaum je zuvor.

Sorgen sind angebracht. Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Aussterben der Regionalmedien und zunehmender Radikalisierung –nicht nur in den USA. Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Aushöhlung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und wachsendem Populismus – nicht nur in Polen. Und es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Geschäftsmodell der sogenannten sozialen Medien und permanenter Emotionalisierung der Gesellschaft, die uns alle in Freunde und Gegner teilt.

Drei Aufgaben für den RBB

Die Demokratie lebt von Voraussetzungen, die sie selbst nicht garantieren kann, hat der Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde einmal festgestellt. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist ein Produzent dieser Voraussetzungen. Um dieser Rolle gerecht zu werden, hat der RBB drei Aufgaben vor sich.

Erstens: Der RBB entwickelt sich von der Sende- zur Kommunikationsplattform. Er sollte Informations- und Meinungsfreiheit, Diskurs und Diskussion nach Kräften fördern und beleben. In einer Welt, in der immer mehr Menschen ihre Meinung in geschlossenen Diskursen härten und in Echokammern Bestätigung statt Zweifel hören, kann der RBB Zuspruch und Zumutungen ermöglichen. Stärker noch als früher sollten wir vor unserem Publikum die Grenzen unseres eigenen Wissens dokumentieren, die Herkunft unserer Informationen und Bilder belegen. Unser Publikum soll auch wissen, was wir nicht wissen.

Zweitens: Die digitale Transformation ist auch im Rundfunk angekommen, und der RBB stellt sich ihr. Wir müssen überall dort sein, wo die Beitragszahler und -zahlerinnen sind. Lineare Programme bleiben ein vitaler Teil unserer Identität. Aber wir müssen auch die TikTok-Generation erreichen. Wir entwickeln deshalb Programm auch für nicht lineare Ausspielwege intensiv weiter. Jeder Turnschuh und jede Handtasche werden heute im Netz professioneller verkauft, als unser Programm, das sich viel zu oft auf Fernbedienung, vorprogrammierte Radiosender und Programmzeitschriften verlässt.

Gleichzeitig hilft uns der digitale Umbau, in der Organisation des Senders beweglicher, effizienter und wirtschaftlicher zu werden. Prozesse in der Verwaltung können so flexibler und weniger aufwendig gestaltet werden.

Und drittens: Der RBB ist ein Heimatsender. Die regionale Berichterstattung ist die Daseinsberechtigung des RBB. Wir sind in Brandenburg und Berlin präsent, in der Region verwurzelt. Für den RBB bedeutet das, seinem gesamten Sendegebiet gleichermaßen gerecht zu werden – Stadt, Land, Ost und West, Alt und Jung.

Neu zu verhandeln ist hier unser Verständnis von Aktualität und Relevanz. Der Bericht über die Premiere im Staatstheater in Cottbus kann nicht in Konkurrenz stehen zum Bericht über die Premiere in der Staatsoper in Berlin. Dörfer in Brandenburg und die Berliner Kieze erleben den globalen Wandel sehr konkret: Die Klima-Katastrophe lässt sich am sinkenden Grundwasserspiegel der Seenketten ablesen, der wirtschaftliche Wandel an der Verödung der Einkaufs-Boulevards, die Arbeitswelt der Zukunft am Wachstum der Home-Office-Dienstleistungen in der Uckermark.

Pioniergeist für den Neuanfang

Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk kommt im Moment gut an. Sie wird geteilt, sie polarisiert, sie schafft Aufmerksamkeit. ARD, ZDF und Deutschlandfunk stellen sich der Kritik. Aber richtig ist auch, dass das tatsächliche Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk immer noch sehr groß ist, wie die aktuellen Zahlen der Langzeitstudie der Uni Mainz zeigen. 62 Prozent der Menschen vertrauen dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk an erster Stelle.

Dass das so bleibt oder sogar noch besser wird, dafür arbeiten die Kolleginnen und Kollegen des RBB täglich. Wir wollen uns neu fokussieren, Bewegungsfreiheit für die nicht-linearen Angebote gewinnen, dabei die Region besser abbilden und den Dialog mit allen Interessierten auf Dauer etablieren. All das ist ein Neuanfang. Er erfordert Leidenschaft, Professionalität und Pioniergeist.