Frau Mangler, am Montag werden Sie mit dem Berliner Frauenpreis geehrt. Ist das nicht sexistisch? Es gibt ja auch keinen Männerpreis.

Theoretisch ja, aber Männer haben sehr viel Talent darin, sich gegenseitig mit Preisen und Ehrdarbietungen zu überhäufen, Frauen werden häufig übersehen. Deshalb freue ich mich sehr. Ich verstehe diese Auszeichnung auch für alle Menschen, die sich wie ich gegen Stigmen wehren und Dinge zur Diskussion stellen, wie zum Beispiel bestimmte Themen aus der Gynäkologie oder Sexualität, die zwar seit Jahrhunderten als selbstverständlich dargestellt werden, aber so nicht stimmen oder unvollständig sind.

Im Tagesspiegel-Podcast „Gyncast“ sind Sie die Expertin. Dort geht es immer wieder um diese Mythen in der Gynäkologie, die Sie gerade angesprochen haben. Was tangiert Sie am meisten?

Unter anderem die Einstellung, dass die Vagina das weibliche Pendant zum Penis ist. Was auch dazu führt, dass Sexualität mit Penetration gleichgesetzt wird – das ist eine sehr männliche Sichtweise und bildet nicht die gewünschte Sexualität der Frau ab. Frauen befriedigt die Stimulation der Klitoris. Aber diese wird oft nicht erwähnt und auf OP-Aufklärungsbögen fehlt die Klitoris zum Beispiel ganz. Wenn also an der Vulva ein operativer Eingriff vorgenommen wird, können wir Ärzte:innen den Patientinnen gar nicht genau zeigen, wo was passiert.

Wie steht es um den Mythos des Jungfernhäutchens?

Es ist ein absurdes Konzept, dass das Jungfernhäutchen beim ersten Sex durchstochen werden muss und dann Blut kommt. Es gibt viele Gründe, weshalb Frauen beim Sex bluten können, egal wie oft sie schon Sex hatten. Zum Beispiel, wenn Schleimhäute in der Vulva oder Vagina verletzt werden. Dass eine Frau beim ersten Mal blutet, passiert aber nur in etwa 25 Prozent der Fälle. Abgesehen davon erweckt die Begrifflichkeit falsche Assoziationen. Wir sprechen nicht über ein Häutchen, sondern über eine ringförmige Schleimhautfalte ohne bekannte Funktion. Sie bleibt bei allen Frauen vorhanden, bis ins Alter, egal, wie viele Kinder man geboren hat. Was mich stört am Wort Jungfernhäutchen ist, dass es uns Frauen kategorisiert in ,schon mal penetriert worden‘ oder ,noch nicht penetriert worden‘. Das Konzept, das dahintersteht, wertet Frauen überall auf der Welt ab.

Die meisten Chefposten in der Medizin sind mit Männern besetzt – oft, weil Frauen die Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie schwer fällt. Sie haben auch mehrere Kinder. Haben Sie Tipps?

Man kann das nur mit Hilfe schaffen. Mir hat eine gleichberechtigte Partnerschaft geholfen und meine Familie. Außerdem bin ich ein in Gruppen handelnder Mensch. Ich habe mir im Krankenhaus ein fantastisches Team mit einer sehr guten Frauenquote zusammengestellt. Führungskräfte, die hierarchisch agieren, müssen hingegen sehr viel selber erledigen. Ich möchte nicht auf Kosten eines Partners, der zu Hause alles wuppt, Karriere machen. Ich möchte nicht jemand anderen schwach machen, um stark zu sein.

Auf welches nächste Thema im Podcast freuen Sie sich schon besonders?

Demnächst geht es bei uns um Asexualität, auch um Kinderfreiheit oder Sex im Alter – Themen, die mit Tabus behaftet sind, die dringend betrachtet werden sollten. Gemeinsam können wir dann als Gesellschaft ja noch überlegen, ob wir die Dinge behalten wollen, wie sie sind – oder ob wir sie ändern.

Das Gespräch führte Saara von Alten

Mandy Mangler leitet die Gynäkologie und Geburtshilfe im Auguste-Viktoria-Klinikum in Schöneberg sowie seit 2021 in Doppelspitze auch des Vivantes-Klinikums Neukölln. Foto: TSP/Kitty Kleist-Heinrich