Trotz bester klimapolitischer Absichten ist der Erdgasverbrauch in Deutschland noch immer hoch. Er machte 2021 rund ein Viertel des Primärenergieverbrauchs aus. Wie schnell der Anteil reduziert werden kann, darüber streiten Fachleute. Selbst wenn die Stromproduktion in Gaskraftwerken gedrosselt würde, bleibt der Bedarf in Industrie und Haushalten noch lange Zeit bestehen. Denn hier wären sehr grundsätzliche technische Änderungen – und hohe Investitionen – notwendig.

Seit Russland die Lieferungen eingestellt hat, sind einerseits die Preise massiv gestiegen. Andererseits wird verstärkt „Fracking-Gas“ vor allem aus den USA importiert werden müssen. Das wiederum hat wegen Umwandlungen und Transport eine besonders schlechte Klimabilanz. Vor diesem Hintergrund wird diskutiert, die Gasproduktion in Deutschland zu steigern und auch hier bislang ungenutzte Lagerstätten mit dem Fracking-Verfahren zu erschließen.

Die Debatte gab es schon einmal. Daraufhin hat die Industrie nach eigenen Angaben seit 2011 keine Fracs mehr in konventionellen Lagerstätten unternommen, wo das Verfahren seit Jahrzehnten genutzt worden war, um die Ausbeute zu steigern. 2017 hat die Politik ein Fracking-Verbot beschlossen - das jetzt beispielsweise der FDP-Chef Christian Lindner für nicht mehr zeitgemäß hält. In einer aktuellen Umfrage für den WWF sprechen sich 53 Prozent der Befragten weiter für ein solches Verbot aus, 37 Prozent sind dagegen, 10 Prozent unentschieden.

Worum geht es technisch? Der Begriff „Fracking“ kommt von „hydraulic fracturing“: Wasser wird mit hohem Druck in ein Bohrloch gepresst, damit das Gestein aufbricht und zusätzliche Wege entstehen, durch die Gas oder Wasser strömen kann. Beigefügte Stützmittel halten die Spalten offen. Zudem werden Chemikalien eingebracht, um die Fließfähigkeit zu erhöhen oder Bakterienwachstum zu verhindern. Fracking kann helfen, mehr aus herkömmlichen Lagerstätten, etwa in porösem Sandstein, herauszuholen. Für „unkonventionelle“ Gaslagerstätten ist es unerlässlich. Dies sind vor allem dichte Schiefergesteine, in denen das Gas fest eingeschlossen ist. Erst Fracking schafft die Wege hin zum Bohrloch, um das Schiefergas fördern zu können.

Die Technik wird übrigens auch in der Geothermie genutzt, allerdings ohne Chemieeinsatz. Hier wird sie meist als „hydraulische Stimulation“ bezeichnet.

Beim Fracking in unkonventionellen Lagerstätten gibt es umfangreiche Erfahrungen aus den USA, wo die Methode allein bis 2020 rund zwei Millionen Mal angewendet wurde. Die negativen Auswirkung sind bekannt: induzierte Erdbeben, Umweltverschmutzung, klimaschädliche Methanaustritte. Dazu kommt der Verdacht auf Gesundheitsschäden, etwa durch die angewandten Chemikalien und durch diese kontaminiertes Grundwasser.

Ist es angesichts dieser Risiken vertretbar, das Verfahren in Deutschland einzusetzen? Darauf gibt die „Expertenkommission Fracking“, die noch von der vorherigen Bundesregierung eingesetzt worden war und 2021 ihren Bericht vorgelegt hat, bewusst keine Antwort.

„Das müssen Politik und Gesellschaft entscheiden, auch mit Blick auf die volkswirtschaftlichen, energie- und klimapolitischen Folgen“, sagt die Vorsitzende, Charlotte Krawczyk vom Deutschen Geoforschungszentrum (GFZ) in Potsdam. Das Gremium informiere lediglich über den aktuellen Wissensstand zu dem Thema, einschließlich der Unsicherheiten und Forschungsfragen, um die Basis für eine Entscheidung zu schaffen.

Grundsätzlich, so Krawczyk, habe es etliche Fortschritte gegeben, sowohl in der Technik als auch bei den Umweltvorschriften in den USA, so dass manches Argument aus früheren Debatten nicht mehr zu halten sei. „Klar ist aber auch: Wenn wir in den Untergrund eingreifen, ist das niemals ohne Risiko“, sagt sie. „Wir müssen weiter daran forschen, wie wir das minimieren.“

Da sind beispielsweise die ausgelösten Erdbeben. Fracking kann dazu führen, dass im „vorgespannten“ Untergrund, der früher oder später ohnehin beben würde, Erdstöße ausgelöst werden. Ereignisse mit Magnituden bis 5,8 und teils erheblicher Schadenswirkung in China, Kanada, Argentinien und den USA würden mit dem Verfahren in Verbindung gebracht, schreibt die Expertenkommission in ihrem Bericht. Sie stellt aber auch fest, dass „gemessen an der Anzahl an Fracking-Bohrungen, die damit in Zusammenhang gebrachte induzierte Seismizität selten“ sei.

Bezogen auf Deutschland, sagt die Geophysikerin Krawczyk, sollten Standorte mit tiefgreifenden geologischen Störungen von vornherein ausgeschlossen werden. Weiterhin fordert sie, Standorte vorab gut zu erkunden, vor allem hinsichtlich folgender Aspekte: Wie oft und stark bebt die Erde, wie ist der Untergrund aufgebaut?

Anhand dieser Parameter lasse sich berechnen, „bei welcher Magnitude welche Bodenbewegungen zu erwarten sind“, erklärt sie. „Mit diesen Simulationen würde man dann Umkreise festlegen, wie weit kritische Infrastruktur mindestens entfernt sein muss, damit nichts passiert.“

Hinzu komme, dass die Bohrtechnik und Überwachung verbessert worden sei. Anzeichen für Erdbeben könnten zudem schneller erkannt und besser darauf reagiert werden. Auch bezüglich möglicher Umweltschäden empfiehlt die Kommission, jeden Standort zunächst grundlegend zu untersuchen. Die Experten nennen das „Baseline Monitoring“. Es dokumentiert den ungestörten Ist-Zustand vor der Gasförderung. „Erforderlich sind Messungen über mindestens ein Jahr, die beispielsweise die jahreszeitlichen Veränderungen des Oberflächen- und Grundwassers beinhalten sowie natürliche Gasaustritte“, sagt Krawczyk. Diese Daten seien „unerlässlich, um später genau ermitteln zu können, welche Ereignisse oder gar Schäden wirklich auf das Fracking zurückzuführen sind und wie die Zusammenhänge sind“, sagt Krawczyk.

Sie widerspricht damit Fachleuten, die meinen, man wisse genug und könne gleich loslegen – und mahnt stattdessen zu Geduld und Demut. „Je mehr wir zunächst über die Standorte lernen, umso besser lassen sich die Eingriffe simulieren – und das verringert das Risiko weiter.“

Solche vorher gesammelten Informationen helfen später – im Falle, dass es zu einer Förderung kommt – auch im Betrieb einer Anlage, beispielsweise, um den Wasserbedarf abzuschätzen. Der sei dank besserer Verfahren und Recyclingtechnik erheblich geringer geworden als noch vor Jahren, sagt die Forscherin. Dennoch könnte es zu Nutzungskonflikten kommen, etwa im gasreichen Niedersachsen, wo schon heute viel Wasser von der Landwirtschaft verbraucht werde.

Ein weitere wichtige Frage lautet ihrer Meinung nach: Wie viel Schiefergas ist in Deutschland vorhanden und in welchen Lagerstätten lässt es sich überhaupt mit vertretbarem Aufwand gewinnen?

Bisher gibt es lediglich eine Abschätzung der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) von 2016. Demnach sind in Tiefen von 500 bis 5000 Metern zwischen 380 und 2340 Milliarden Kubikmeter Schiefergas technisch gewinnbar. Zum Vergleich: 2021 wurden hierzulande knapp 5,2 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus konventionellen Lagerstätten gefördert. Das waren fünf Prozent des Gesamtverbrauchs im Land.

So angespannt die Lage am Gasmarkt ist, Fracking wird – sollte das Verbot gekippt werden – kein Wunder vollbringen. Kalkulationen laut denen sich Deutschland dank Schiefergas zehn Jahre lang allein versorgen könnte, nennt Ludwig Möhring eine „rein rechnerische Beschreibung, die sich nicht technisch wird umsetzen lassen“. Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Erdgas, Erdöl und Geoenergie sagt: „Realistisch wäre ein Hochlauf auf zehn Milliarden Kubikmeter Förderung pro Jahr binnen drei bis fünf Jahren.“ Wenn politisch ein weiterer Ausbau forciert würde, könnte der Anteil heimischer Produktion später um die 20 Prozent erreichen, wie bereits in der Vergangenheit. Laut Möhring käme das dem Gaspreis und der Versorgungssicherheit zugute.

Nach Ansicht von Kritikern ist das der falsche Weg. „Bis signifikante Mengen an Gas verfügbar wären, dürfte es bis zu zehn Jahre dauern“, argumentieren verschiedene Umweltverbände, Anti-Fracking-Initiativen und Kirchenvertreter in einem aktuellen Offenen Brief an die betreffenden Bundesministerien. „Dann aber wird es aufgrund des massiven Ausbaus der Erneuerbaren Energien gar keinen Engpass mehr geben. Es ergibt daher keinen Sinn, sich in neue Abhängigkeiten von fossilen, klimaschädlichen Energien zu begeben, denn diese helfen akut nicht weiter und werden mittelfristig nicht gebraucht.“ Die Unterzeichner fordern, am Fracking-Verbot festzuhalten.

Das bedeutete, dass Importe weiter hoch sind. Insbesondere bei Flüssiggas (LNG) aus den USA ist die Klimawirkung beträchtlich. Aufgrund von Verflüssigung und Transport mit Schiffen liegen die Emissionen gut 20 Prozent über dem Wert für leitungsgebundenes, in Deutschlands verwendetes Gas, wie unter anderem aus Daten des Umweltbundesamts hervorgeht.

Verbandsgeschäftsführer Möhring meint, dass die Gaskrise länger als bis 2023/2024 andauern wird. „Das Thema ist größer als viele glauben und wird uns noch viele Jahre begleiten, denn LNG ist nicht im Überfluss vorhanden und wird schon deshalb teuer bleiben.“ Forderungen an die Politik, die Schiefergasgewinnung zu ermöglichen, will er aber nicht stellen. „Was wir fordern, ist, angesichts der Gaskrise eine hinreichend informierte Entscheidung darüber zu treffen.“ Die Industrie könne liefern, aber nur wenn das gewollt sei.