Wo könnte eine apokalyptische Messe besser gefeiert werden als im 35 Meter langen Kirchenschiff von St. Agnes, einer ehemaligen katholischen Kirche in Kreuzberg? In den massiven Betonmauern sind Gottesglauben, Engel und Dämonen gleichermaßen eingeschrieben, draußen vor der Tür trifft man auf das schroffe Kreuzberger Milieu.

Johann Königs brutalistischer Tempel ist nicht nur in seiner Größe wie ein heiliges Versprechen für Kunst und Künstler. Und genau an diesem Ort zeigt Julian Rosefeldt, Jahrgang 1965, treffsicher seine meditative, suggestive Filminstallation „Penumbra“, mit 85 Minuten knapp Spielfilmlänge. Für ein Kunstpublikum eine echte Herausforderung, doch keiner geht. Das Werk knüpft an die Arbeit „In the Land of Drought“ an, die der Regisseur und Künstler hier 2017 zeigte.

Die Sitzkissen sind an diesem frühen, warmen Freitagnachmittag belegt, eigentlich liegen alle Besucher, jung und alt, mehr oder weniger auf dem Rücken, schauen gefesselt in Rosenfeldts Kunsthimmel und können kaum glauben, was sie sehen. Eine rätselhafte, post-humane Zukunft, die sie nicht mehr erleben werden, die so schrecklich ist, dass das wohl auch keiner möchte: Klimakrise, Kriege, Zerstörung, Hedonismus haben ihre Spuren hinterlassen. Ein großes Thema des Künstlers, das er in bekannten Werken wie „Manifesto“ (2015) mit Cate Blanchett bereits umsetzte: das Scheitern der Moderne, des Kapitalismus – am eigenen Anspruch.

Ein Knochen trudelt im All. Die Zuschauenden nehmen eine Art Gottesblick ein, Vogelperspektive in XXL, eine größere Distanz gibt es kaum. Gleichzeitig ist dies der Fokus einer Drohnen-Überwachungssituation. Minutenlang und in Slow-Motion steuert die Kamera einen leeren, karstigen Planeten an. Hier blüht nichts mehr. Urbane Hinterlassenschaften sind in der Wüste zu sehen, Megastädte, Häuser, dicht an dicht wie Bienenwaben, innen hohl wie ein maroder, schwarzer Zahn. Menschen gibt es nicht in dieser dystopischen Landschaft, die rundum digital gebaut ist. Wo sind sie bloß geblieben?

Ausgangspunkt für „Penumbra“ war Rosefeldts Einladung für die visuelle Inszenierung von Robert Schumanns „Szenen aus Goethes Faust“ an die Oper Antwerpen. Die Premiere verschob sich wegen Corona. „Ein Meisterwerk“, sagt Rosenfeldt am Telefon, „es wird relativ selten vertont. Ein Glücksfall für mich.“ Goethe sei extrem visionär gewesen, die Globalisierung, die ökologische Katastrophe, der Kolonialismus, – alles sei im „Faust“ bereits enthalten. Das faustische Streben übersetzt er kurzerhand ins Jetzt. Schumann wird in „Penumbra“ zum Soundtrack für den Bilderfluss in Endzeitstimmung. Dabei nutzt Rosefeldt chineastische Mittel, um gleichzeitig die Kinoregeln zu unterlaufen.

Extrem langsam zoomt sich die Kamera im zweiten Teil an einen Wald heran, ein Lieblingsmotiv des Wahl-Berliners. Metapher für die deutsche Seele. Ein junger Mann schleppt eine Nebelmaschine an, Romantik selbstproduziert, wenn nichts mehr geht. Tief im Inneren des Waldes findet ein Techno-Rave statt, die Bewegungen in extremer Zeitlupe gleichen einem Trance-Zustand.

Und wir drücken uns tiefer in unsere Sitzkissen hinein. Haare fliegen, knapp sitzen die Bustiers, geben den Blick frei auf Tattoos. Jeder tanzt selbstverloren für sich allein, dennoch aufgehoben in der Gemeinschaft. Eine Ersatz-Blase, wenn draußen die Welt irgendwie nicht mehr funktioniert. Drogen und Tanz in den Clubs von Berlin sind längst ein gesellschaftlich akzeptiertes Ventil für jene, die 48 Stunden abtauchen, um am Montag wieder im Job auf der Matte zu stehen. Eine Art „esoterischer Boom“, ein neuer Eskapismus auf der Suche nach Liebe, glaubt Rosefeldt. Gedreht hat er im Wald eines Freundes im brandenburgischen Biesenthal, mit 400 „echten“, in der Szene gecasteten Berliner Ravern. Wir rappeln uns hoch aus unserem Polster, tauchen zurück in die Kreuzberger Realität, die Sonne scheint und man denkt: Geht doch, es gibt noch Hoffnung! Gabriela Walde

Galerie König, Alexandrinenstr. 118 – 121; bis 7. August, Di – Sa 10 – 18 Uhr