Wieder ist eine Radfahrerin getötet worden. Wieder wurde das Unfallopfer von einem Lastwagen überrollt. Wieder war es ein Baufahrzeug. Und: Es war auf diesem Knoten in Prenzlauer Berg bereits der zweite tödliche Unfall mit einer Radfahrerin dieses Jahr. Ende Mai war Ecke Greifswalder Straße eine 38-Jährige von einem Betonmischer getötet worden, der nach rechts abbog. Zudem starb im Oktober ein 53-Jähriger, der zu Fuß die Greifswalder Straße überquerte, laut Polizei „ohne auf den Verkehr zu achten“. Ein Motorrad fuhr ihn etwas nördlich der Kreuzung an.

So schildert die Polizei den Hergang des Unfalls am Dienstag: Die 58-Jährige fuhr gegen 9.50 Uhr mit ihrem Fahrrad auf der Straße Am Friedrichshain in Richtung Greifswalder. Etwa 50 Meter vor der Kreuzung kam es „zu einer Berührung mit einem in gleicher Richtung fahrenden Lkw“. Ob die Frau nach links zog, um abzubiegen, oder ob der Lkw-Fahrer ohne Abstand überholte, ist offen. Die Frau wurde von dem schweren Kieslaster überrollt, sie starb sofort. Der 52-jährige Lkw-Fahrer und zwei Zeugen kamen mit Schock in ein Krankenhaus. Radwege gibt es auf der weitläufigen Kreuzung nicht. Der Verein Changing Cities forderte am Mittwoch den sofortigen Umbau der Ecke mit geschützten Radspuren. Auf Twitter veröffentlichte der Verein, der aus dem Volksentscheid Fahrrad entstand, eine Zeichnung, wie die Kreuzung schnell mit der Methode „Pop up“ umgebaut werden kann.

Changing Cities (CC) kritisierte, dass „der alte Senat auf die Vorgaben zur Verkehrssicherheit im Mobilitätsgesetz gepfiffen“ habe. Es habe keine Konsequenzen aus dem ersten tödlichen Unfall an dieser Ecke im Mai gegeben, kritisierte Kerstin Leutloff vom Verein. „Man macht einfach weiter wie bisher.“ Der Verein appellierte an die neue Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne), „mit dieser fortgesetzten Ignoranz aufzuräumen“. Jaraschs Sprecher Markus Kamrad sagte, dass sie an der Mahnwache am Mittwoch teilnehmen werde. „Jede Tote im Straßenverkehr ist schrecklich“, sagte Kamrad und verwies auf den neuen Koalitionsvertrag. 2016 stand da: „Die Koalition bringt den Umbau von Kreuzungen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit voran.“

Der Unfallforscher Siegfried Brockmann vom Gesamtverband der Versicherungswirtschaft widersprach den Angaben der Vereine. Es gebe dort keine Häufung von Unfällen. Und mit der separaten Ampelschaltung für Linksabbieger sei die Kreuzung „weiter als andere in Berlin“. Die Polizei bestätigte Brockmanns Angaben, dass der Fußgänger den Unfall selbst verursacht habe. Er hatte das Gitter an der Tramhaltestelle umlaufen, um den Weg über die Ampel zu sparen. Das Mobilitätsgesetz verpflichtet den Senat, die Örtlichkeiten aller tödlichen Unfälle zu prüfen. Am Ort des ersten tödlichen Radunfalls wurden kurz darauf zusätzliche Schilder aufgestellt: Im März 2021 wurde in Neukölln eine 56-Jährige von einem abbiegenden Kieslaster getötet.

Der ADFC forderte am Mittwoch für die Unfallkreuzung Am Friedrichshain „eine klare Signalisierung“ für linksabbiegende BVG-Busse und den Radverkehr. Unklar ist laut Polizei, ob die Frau nach links abbiegen wollte. Sie wohnte im Bezirk Prenzlauer Berg, kannte also die Kreuzung. Zudem forderte der ADFC erneut: „Lkw müssen endlich verpflichtend mit Technik ausgestattet werden, die tödliche Unfälle vermeidet.“ ADFC-Vorstand Frank Masurat appellierte an Jarasch und die künftige Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD): „Wir brauchen sofort Maßnahmen, die ein weiteres Töten von Menschen verhindern.“

Beide Vereine hatten für den späten Mittwochnachmittag zu einer Mahnwache und anschließend zu einer Demo aufgerufen. An der Unfallstelle sollte ein „Geisterrad“ aufgestellt werden.

Von der vom Senat ausgerufenen „Vision Zero“ – also null Verkehrsopfer – ist Berlin aktuell 38 Tote entfernt. 13 Fußgänger starben, zehn Radfahrer, zehn Insassen von Pkw und Lkw und fünf Motorradfahrer. Der Anteil der sogenannten „schwächeren“ Verkehrsteilnehmer (Rad und Fuß) liegt mit 60 Prozent niedriger als in den Vorjahren. 2020 waren es zum Beispiel 72 Prozent. Auffallend ist, dass die sechs Radfahrer, die von Lastwagen getötet wurden, alles Frauen waren. Drei Männer starben bei Alleinunfällen, ein vierter verursachte den Todescrash mit einem Auto selbst. Jörn Hasselmann