Berlin - Es ist Propaganda, die von Russland schon länger verbreitet wird: Die Ukraine betreibe mit den USA geheime Biowaffen-Labore. Die Ukraine habe historisch keinen eigenen Gebietsanspruch, sondern sei eigentlich Teil Russlands. Der Krieg in der Ukraine sei notwendig gewesen, um die dortige faschistische Regierung zu beseitigen.

Eine Studie zeigt nun: Solche Erzählungen verfangen in Deutschland. Immer mehr Deutsche glauben an russische Propaganda und Verschwörungserzählungen. Eine repräsentative Befragung des Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) ergab eine deutliche Zunahme seit April dieses Jahres. Die Aussage etwa, der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine sei eine alternativlose Reaktion Russlands auf Provokationen der Nato, erhielt einen Zuspruch von 19 Prozent. Im April lagen der Wert noch bei 12 Prozent.

18 Prozent stimmten der Aussage zu, Putin gehe gegen eine „globale Elite vor, die im Hintergrund die Fäden zieht“. Im April waren das noch 12 Prozent. Besonders auffällig sind die Unterschiede zwischen Ost und West: So stimmten der Aussage, die Nato habe Russland provoziert, im Osten etwa ein Drittel der Befragten zu, während der Wert im Westen nur bei 16 Prozent lag.

Die Entwicklung kommt für Pia Lamberty, eine der Autorinnen der Studie, nicht überraschend. Die Sozialpsychologin erforscht seit Jahren die Verbreitung von Verschwörungsglauben. „In Zeiten von Krise und Unsicherheit gedeihen Verschwörungserzählungen besonders gut“, sagt sie dem Tagesspiegel. „Wenn Menschen ein Gefühl von Kontrollverlust erleben, suchen sie eine Möglichkeit, damit umzugehen. Verschwörungserzählungen strukturieren die Welt.“ Russische Desinformationskampagnen würden jetzt Früchte tragen.

Das Ziel der Desinformation, so die Studienautoren, sei die Gesellschaft zu destabilisieren und das Vertrauen in die Regierung zu erschüttern. Lamberty und ihre Kollegen beobachten, dass russische Propaganda in Deutschland sowohl von Menschen verbreitet werde, die der Kreml bezahle, als auch von solchen, die eine ideologische Nähe hätten und das aus freien Stücken machten. Nach dem Verbot des russischen Propagandasenders RT DE seien mehrere kleinere Alternativen gegründet worden. Die russischen Botschaften verbreiteten auf Telegram und Twitter Propaganda. Dazu kommen Influencerinnen wie Alina Lipp, die zu den bekanntesten Verbreiterinnen russischer Propaganda in Deutschland zählt.

Am stärksten verfängt die russische Propaganda bei Anhängern der AfD. Knapp die Hälfte der Anhänger stimmten der Aussage zu, die Nato habe Russland so lange provoziert, bis es in den Krieg ziehen musste. Die zweithöchsten Zustimmungswerte erhielten die Aussagen unter Wählerinnen und Wählern der Linken.

Besonders anschlussfähig sei prorussische Propaganda dort, wo ohnehin bereits Antiamerikanismus vorherrscht, sagt Lamberty. Die Idee also, „die USA seien inherent böse und kulturlos“. Das gehe meist einher mit einem verklärenden Russlandbild. „Die Nato als Feind, die USA als Feind – das war schon immer in gewissen linken Kreisen und in Teilen der Friedensbewegung anschlussfähig“, erklärt Lamberty.

Auch die AfD verbreitet pro-russische Propaganda, sei es auf Demos oder in den sozialen Medien. Bemerkenswert war etwa eine Rede, die der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke am Tag der Deutschen Einheit in Gera hielt, in der er den russischen Angriffskrieg entschuldigte. Die USA hätten die Nato bis „an die Schmerzgrenze ausgedehnt“, erklärte er. „Und nun gilt Putin auf einmal als Aggressor. Wieder einmal haben die westlichen Medien einen neuen Hitler aus dem Hut gezaubert. Diesmal ist es Wladimir Putin.“ Später erklärte Höcke, wenn er sich zwischen dem „Regenbogenimperium“ des Westens und dem „traditionellen Osten“ entscheiden müsste, er würde den Osten wählen.

Lamberty beobachtet auch, dass die AfD russische Propaganda gerne aufnehme, wenn die gegen ukrainische Geflüchtete gehe. So wurde bereits im März die komplett erfundene Falschmeldung verbreitet, ein junger Russe sei von Ukrainern erschlagen worden. „Die Sorge ist berechtigt, dass die Kreml-Propaganda in den nächsten Monaten noch stärker auf ukrainische Geflüchtete abzielt und so versucht wird, die Gesellschaft zu spalten“, sagt sie

Für bemerkenswert halten die Autoren der Studie, dass auch der Anteil derer gestiegen sei, die nach ihrer Zustimmung zu den Aussagen gefragt mit „teils-teils“ antworteten. Desinformation ziele nicht nur darauf ab, zu überzeugen, sondern auch Unsicherheit hervorzurufen und Zweifel zu sähen. „Wer unsicher ist, ob nicht eigentlich die Nato Schuld am Krieg trägt, wird weniger klar Sanktionen unterstützen“, heißt es in der Studie.

Aus Sicht Lambertys ist die Verbreitung von russischer Propaganda und Verschwörungserzählungen aber auch ein Problem für die Demokratie. Das Ziel sei, das Vertrauen in eine demokratische Gesellschaft langfristig zu zerstören. Im Osten täten sich bereits jetzt antidemokratische Räume auf, Rechtsextreme vergrößerten ihren Einfluss. „Das ist eine Gefahr für marginalisierte Gruppen – man denke nur an die Übergriffe auf Flüchtlingsheime.“