Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut! Die berühmte Parole von „Fridays for Future“ lässt offen, wer genau mit „ihr“ gemeint ist. Nach einer Lesart, die medial besonders gerne aufgegriffen wird, richtet sich die Botschaft der jungen Aktivist:innen direkt an die älteren Generationen: Die Alten hätten die Klimakrise verursacht und würden nun mit einer „Nach uns die Sintflut“-Mentalität notwendige Maßnahmen blockieren, während die Jungen, die am längsten mit den Folgen leben müssten, über wenig Entscheidungsmacht verfügten.

So oder so ähnlich wurde die Debatte um den Klimaschutz in den vergangenen Jahren immer wieder auf einen Konflikt Jung gegen Alt zugespitzt.

Nun ist der Topos vom Kampf der Generationen nichts Neues. Doch was das heutige Verhältnis zwischen den Generationen von früheren unterscheidet, ist ein zunehmendes Kräfteungleichgewicht, das der demografische Wandel mit sich bringt. Niedrige Geburtenraten und eine steigende Lebenserwartung haben die Bevölkerung Deutschlands altern lassen.

Damit stehen immer weniger junge Menschen einer zunehmenden Zahl älterer Menschen gegenüber. Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen: Waren im Jahr 1950 noch 23 Prozent der Bevölkerung unter 15 Jahre alt, sind es heute nur noch 14 Prozent. In Deutschland ist mittlerweile jede zweite Person älter als 45 und jede fünfte Person älter als 66 Jahre. Und diese Tendenz wird weiter steigen. Bis 2035 soll die Zahl der Menschen im Rentenalter um vier Millionen auf voraussichtlich 20 Millionen steigen.

Mehr Einfluss an der Wahlurne

Die Alterung der Gesellschaft hat nicht nur Auswirkungen auf das Renten- und Gesundheitssystem, sie lässt auch den Einfluss älterer Generationen an den Wahlurnen immer größer werden. Hinzu kommt, dass die Wahlbeteiligung bei jüngeren Menschen eher unterdurchschnittlich, bei älteren Menschen dagegen überdurchschnittlich hoch ist. Diesbezüglich spricht etwa der Politologe Jörg Tremmel, Vorstand der „Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen“ (SRzG), von einer „Gerontokratie“, einer „Vorherrschaft der Alten“. Ähnlich zugespitzt hatte es schon Altbundespräsident Roman Herzog formuliert.

Dieser hatte 2008 in einem Interview mit der „Bild“-Zeitung, angesichts einer außerplanmäßig beschlossenen Rentenerhöhung, vor einer „Rentnerdemokratie“ gewarnt und damit ein politisches Schlagwort geprägt, das in der Debatte bis heute nachhallt: „Ich fürchte, wir sehen gerade die Vorboten einer Rentnerdemokratie: Die Älteren werden immer mehr, und alle Parteien nehmen überproportional Rücksicht auf sie.“

Silke van Dyk kritisiert die altersfeindlichen Normen, die in solchen Schlagwörtern zum Ausdruck kämen. Sie ist Professorin für Politische Soziologie am Institut für Soziologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena und forscht unter anderem zur Soziologie des Alters und der Demografie. „Über das Altern und die alternde Gesellschaft wird vor allem im Modus der Krisenerzählung gesprochen“, sagt van Dyk. „Das negative Begriffsrepertoire von Gerontokratie, Vergreisung der Gesellschaft oder Innovationsblockade suggeriert ganz selbstverständlich, dass eine alternde Gesellschaft ein Problem darstelle.“

Alterung oder Überalterung?

Dabei sei es wichtig zu differenzieren: Während die Formulierung „Alterung“ der Gesellschaft schlicht einen empirischen Sachverhalt beschreibe, enthalte der Begriff „Überalterung“ immer auch einen Bewertungsmaßstab, anhand dessen Abweichungen von einer normalen oder optimalen Alterszusammensetzung bestimmt werden könnten. Einen solchen Maßstab gebe es jedoch nicht. „Dass in medialen und teilweise auch in wissenschaftlichen Kontexten immer wieder ‚Überalterung‘ an Stellen steht, wo eigentlich ‚Alterung‘ stehen müsste, zeigt auch, wie sich negative Altersbilder einschreiben, ohne dass es überhaupt noch reflektiert wird“, so van Dyk.

Zu negativen Altersstereotypen und Altersdiskriminierung hatte erst im vergangenen Jahr die Antidiskriminierungsstelle des Bundes eine umfassende Studie in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse: Über die Hälfte der Befragten meinten, ältere Menschen trügen kaum zum gesellschaftlichen Fortschritt bei. Gleichzeitig ist jede zweite befragte Person der Meinung, dass alte Menschen mehr politischen Einfluss als junge hätten. Insbesondere die jüngsten Befragten gaben außerdem an, sie fühlten sich von den älteren Generationen bei der Bewältigung der Klimakrise im Stich gelassen.

Eine weitere bemerkenswerte Erkenntnis der Studie: Die Mehrheit der Befragten überschätzte den Anteil älterer Menschen in Deutschland, besonders deutlich den Anteil von pflegebedürftigen älteren Menschen. Ein möglicher Hinweis darauf, dass die mediale Darstellung einer „Überalterung der Gesellschaft“ einen verzerrenden Eindruck hinterlässt.

Immer konservativer?

Allerdings beschreiben Begriffe wie Gerontokratie oder Rentnerdemokratie nicht bloß eine zahlenmäßige Dominanz älterer Menschen, sondern implizieren auch, dass diese ihre elektorale Stärke vorrangig zu ihrem eigenen Vorteil nutzen würden. Eine zunehmende demografische Asymmetrie wäre dann ein Problem für die Generationengerechtigkeit, wenn ältere Menschen die Interessen ihrer Generation gegen die Anliegen jüngerer Altersgruppen durchsetzen würden.

Die Befürchtung ist, dass in einer alternden Demokratie eine konservative und besitzwahrende Politik über zukunfts- und fortschrittsorientierten Maßnahmen priorisiert würde. Fragt sich nur: Stimmt es überhaupt, dass ältere Menschen eher konservativ und gemäß ihren altersspezifischen Interessen wählen?

„Es gibt durchaus diesen Typus des älteren und wohlsituierten Wutbügers, der ausschließlich die eigenen Interessen vertritt und nicht über den Tellerrand der eigenen Generation schaut“, sagt Emanuel Richter, emeritierter Professor für Politische Wissenschaft an der RWTH Aachen und Autor des Buches „Seniorendemokratie: Die Überalterung der Gesellschaft und ihre Folgen für die Politik“ (Suhrkamp, 2020).

Das zunehmende Ungleichgewicht zwischen den Altersgruppen, verbunden mit einer Vormachtstellung älterer Menschen in wirtschaftlichen und politischen Führungspositionen, hält Richter für ein ernstzunehmendes Problem. Mit Zuwanderung oder einer Absenkung des Wahlalters lasse sich diese Entwicklung etwas verlangsamen, aufhalten aber lasse sie sich nicht.

Die große Stimmkraft bürde den älteren Generationen deshalb auch eine besondere Verantwortung auf: „Das Motto muss lauten: Mache keine Politik, die nur einer Generation zugutekommt, sondern bedenke auch das Wohl der Jüngeren und der noch ungeborenen Generationen mit“, meint Richter. Dass ältere Menschen per se konservativer wählen würden, kann er nicht bestätigen: „Die Gleichung ‚Senior gleich konservativ‘, wie sie auf die frühe Bundesrepublik zutraf, kann man heute nicht mehr aufstellen.“

Alters- und Kohorteneffekte

Wenn es um die politischen Präferenzen von Menschen im höheren Lebensalter geht, lässt sich in der Wahlforschung zudem zwischen „Alterseffekten“ und „Kohorteneffekten“ unterscheiden. Ein Alters- oder Lebenszykluseffekt liegt vor, wenn mit dem Älterwerden bestimmte Interessen einhergehen – etwa, wenn Themen wie Rente oder Pflege mit fortschreitendem Lebensalter höher gewichtet werden. Der Kohorten- oder Generationeneffekt besagt dagegen, dass politische Einstellungen maßgeblich durch die politischen, sozialen und ökonomischen Bedingungen beeinflusst werden, die in den prägenden Jahren der Jugend und des frühen Erwachsenenalters herrschen.

Altersspezifische Unterschiede im Wahlverhalten, wie etwa eine höhere Zustimmung der älteren Wählerschaft für die Unionsparteien, seien vor allem Ausdruck von Kohorteneffekten, erklärt Silke van Dyk: „Wir wissen, dass sich grundlegende politische Prioritäten im Lebensverlauf ausprägen und nicht plötzlich ändern, nur weil Menschen ein hohes Alter erreichen.“

Tatsächlich spricht gegen das Bild der klientelistisch wählenden Rentner:innen, dass politische Vereinigungen und Kleinparteien, die sich exklusiv für die Belange von Rentner:innen einsetzen, nie nennenswerte Wahlerfolge erzielen konnten. Auch die Tatsache, dass die Altenpflege in Deutschland als chronisch unterfinanziert gilt, scheint der Annahme zu widersprechen, ältere Menschen würden das politische Handeln zugunsten ihrer altersspezifischen Anliegen bestimmten.

Was bleibt also übrig vom Narrativ des Generationskonfliktes und einer vermeintlichen Herrschaft der Alten? Bei genauerer Betrachtung böte selbst die Klimapolitik keinen Anlass, von einem Generationskonflikt zu sprechen, meint Silke van Dyk. So ließen Studien zwar beim Thema Klima Unterschiede nach Altersgruppen erkennen, diese seien aber deutlich geringer als Unterschiede nach Bildungshintergrund und Parteienorientierung.

Man könne hier eine ganz grundsätzliche Diskrepanz sehen, so van Dyk. „Medial und politisch ist die Rede vom Generationskonflikt sehr beliebt, in der empirischen Forschung wird ein solcher aber bis heute vergeblich gesucht.“ Umgekehrt seien die extremen sozialen Ungleichheiten innerhalb der Generationen zwar empirisch gut belegt, würden aber in der politischen Debatte eher ausgeblendet.

Die soziale Ungleichheit betrachtet auch Emanuel Richter als das dringlichere Problem. Seine Warnung vor einer Gerontokratie ergänzt Richter um die Hoffnung auf eine „Stärkung der partizipatorischen Demokratie“. In diesem positiven Szenario würden Rentner:innen ihr Mehr an freier Zeit für bürgerschaftliches und politisches Engagement aufwenden, das den Bedürfnissen aller Altersgruppen zugutekäme.

Um dorthin zu kommen, gelte es jedoch zuerst, die „soziale Spaltung im Kreise der Seniorinnen und Senioren selbst aufzulösen“, sagt Richter. Spätestens hier haben wir es jedoch nicht mehr mit einem Problem der Generationengerechtigkeit zu tun. Denn die Bruchlinie zwischen Arm und Reich ist kein generationsspezifischer Konflikt – sie durchzieht alle Altersgruppen.