Nein, der geliebte Freund mit dem Wuschelfell und dem lebhaften Blick wird nicht wiederkommen. Er wird nicht einfach am nächsten Morgen vor der Haustür sitzen, zerzaust, hungrig, unversehrt. Wenn Joline Dahms oder ein Mitglied ihres Teams anrufen, ist die Hoffnung auf ein Happy End dahin. Dann heißt es Abschied nehmen und auch die Gewissheit annehmen.

Joline Dahms ist stellvertretende Vorsitzende des Vereins „Tote Hunde“ und dort Leiterin des Teams Berlin/Brandenburg. Die Mitglieder des Vereins haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Körper tot aufgefundener Hunde zu untersuchen und deren Besitzer ausfindig zu machen. Die ehrenamtliche Arbeit hat damit nie ein glückliches Ende. Aber sie gibt Betroffenen die Möglichkeit, um ihre Tiere zu trauern und einen neuen Anfang zu wagen.

Joline Dahms weiß, wie wichtig Gewissheit ist, sie hat eigene Erfahrungen mit dem Thema. „Niemand sollte ewig in Ungewissheit leben“, sagt sie. Die Kommissarin der Berliner Polizei ist seit 2014 auf der Suche nach den Familien von tot aufgefundenen Hunden. 2015 wurde der Verein „Tote Hunde“ aus einer Arbeitsgemeinschaft heraus gegründet.

Nicht alle können tote Tiere sehen oder gar berühren

Ungefähr 50 Ehrenamtliche suchen in Berlin und Brandenburg nach den Besitzerinnen und Besitzern der toten Hunde. Die wenigsten sind auch Vereinsmitglieder. Das ist weniger wichtig, sagt Joline Dahms. Was zähle, sind die verschiedenen Menschen mit ihren unterschiedlichen Fähigkeiten. Nicht alle können tote Tiere sehen oder gar berühren. Andere wiederum telefonieren nicht gern mit fremden Menschen. Und die traurige Botschaft überbringen, auch das muss übernommen und verkraftet werden.

Wird in Deutschland ein Tier tot aufgefunden, muss es gemäß dem Tiergesundheitsgesetz „entsorgt“ werden. Dabei wird bei Hunden und Katzen selten der Versuch einer Identifizierung unternommen. Oft stehen keine Lesegeräte für implantierte Chips zur Verfügung oder es fehlt das Personal, das tote Tier zu einem Tierarzt zu fahren, der den Chip auslesen könnte. Dabei sorgen Tierhaltende genau für diesen Fall vor, lassen dem Liebling einen Chip implantieren.

Hunde tragen ihre Steuermarke, manchmal auch Schildchen mit einer Adresse oder Telefonnummer. Für Tierhaltende ist es schwer zu verstehen, wenn der tote Hund trotzdem entsorgt wird, ohne dass sie informiert werden. Diese Lücke versucht der Verein zu füllen.

Die Ehrenamtlichen nehmen viele Strapazen auf sich

Ziel des Vereins ist, den Hunden ihre Namen zurückzugeben. Dafür nehmen die Ehrenamtlichen allerhand Strapazen auf sich. Manchmal ist da die Hoffnung, es könne noch einmal gut ausgehen. Zum Beispiel, wenn die Meldung kommt, dass ein Hund über eine Autobahn läuft. Und dann kommt der Anruf der zuständigen Polizei. Der Hund hat es nicht geschafft, dem rasanten Verkehr zu entkommen. In dem Fall geht es für Dahms oder ein anderes Teammitglied los. Ausgerüstet mit Handschuhen, Lesegerät für Chips, Kamera. Nicht immer wird ein Chip gefunden, bei Unfällen kann er im Körper auch verrutschen oder zerstört werden. Darum lassen manche ihre Hunde zusätzlich tätowieren.

Vor Ort fotografieren die Ehrenamtlichen den Hund, suchen nach Besonderheiten, nicht nur am Körper selbst, auch in der Umgebung: die Reste eines Halsbandes, eine Steuermarke – alles kann helfen.

Facebook hat sich für den Verein als schnelles Mittel der Verbreitung erwiesen. Hier werden Merkmale wie Hunderasse und Fundort gepostet, keine Fotos. Außerdem werden die Daten abgeglichen mit Melderegistern für vermisste Tiere, etwa dem Register der Initiative „Entlaufene Hunde Berlin/Brandenburg“. Die Ehrenamtlichen rufen auch Tierärzte in der Umgebung an.

Oft haben Tiere einen Chip, sind aber nicht registriert. „Manchmal hilft es, den Chip-Hersteller zu fragen, an welchen Tierarzt der eingelesene Chip ausgeliefert wurde. Dann kann über den Tierarzt Kontakt aufgenommen werden“, sagt Dahms. Denn offenbar wissen viele Tierhalter:innen nicht, dass ein Chip allein nicht ausreicht. Das Tier muss mit Chipnummer auch in einem Heimtierregister gemeldet sein. Manche Tierärzte übernehmen beim Chippen auch gleich die Registrierung, andere nicht.

Die eigene Sicherheit darf nicht zu kurz kommen

Auffallend oft werden die getöteten Tiere an Autobahnen oder Bahngleisen gefunden. Bei der Sicherung der Tiere darf die eigene Sicherheit nicht zu kurz kommen. Denn besonders dort, wo Züge fahren und Autos schnell unterwegs sind, gelten strenge Sicherheitsvorschriften, die eingehalten werden müssen. Dahms sagt, die professionelle Zusammenarbeit mit den Behörden sei sehr wichtig – nur so würden die Ehrenamtlichen überhaupt informiert.

27 Fälle hat das Team Berlin/Brandenburg 2021 bearbeitet, 22 Hunde konnten identifiziert werden. In ganz Deutschland waren es 250 Fälle, von denen 167 gelöst werden konnten. Hinzu kommen viele Fälle, in denen sie zu anderen toten Tieren gerufen werden, etwa Katzen. Doch der Verein richtet sein Augenmerk auf tote Hunde, denn die hohe Anzahl von überfahrenen Katzen würde die Kapazitäten des Vereins sprengen.

Im Mai 2022 veröffentlichte das Land Berlin die aktuellen Zahlen zu den in der Hauptstadt lebenden Hunden: 126.300 waren im vergangenen Jahr in Berlin erfasst. Vor der Pandemie, im Jahr 2019, waren es 111.000 Hunde. Tierschutzorganisationen warnen vor unseriösen Tierhändlern, die Auswirkungen tragen die Tierheime, die unter der Last zu zerbrechen drohen.

Doch auch die gut gemeinte Übernahme eines Hundes aus dem Tierschutz kann nach hinten losgehen, wenn Grundregeln nicht eingehalten werden. Eine davon lautet, an Raststätten keine ungesicherten Hunde einzufangen. Oft würden die Tiere dabei flüchten, sagt Dahms. Dies könne leicht tödlich enden.

Der Verein kämpft für eine bundesweite Chippflicht

Eines der Ziele des Vereins ist eine bundesweite, kostenfreie Registrierpflicht. Bisher ist dies Ländersache. Berlin führte die Registrierpflicht Anfang 2022 ein. In Brandenburg müssen nur Hunde mit einer Widerristhöhe von 40 Zentimeter oder einem Gewicht über 20 Kilogramm registriert sein, dazu kommen als gefährlich eingestufte Hunde. Der Verein wünscht sich zudem eine bundesweite Chippflicht – damit alle Hunde eine Chance haben, im Ernstfall identifiziert werden zu können.