Klatschen, essen, sich gegenseitig auf die Schulter klopfen? All das hat bei einer Ausschusssitzung der Bezirksverordnetenversammlung keinen Platz. Normalerweise. Doch die jüngste Sitzung des Wirtschaftsausschusses in Steglitz-Zehlendorf bewies: Es geht im lokalpolitischen Betrieb auch anders. Der Ausschuss tagte bei der Lebenswerkgemeinschaft am Teltower Damm 269, es sind Werkstätten für Menschen mit Assistenzbedarf. Eingeladen hatte der Werkstattrat, die gewählte Vertretung der Beschäftigten: Die Angestellten der Werkstatt haben konkrete Forderungen an die Politik.

„Ich möchte Ihnen sagen, dass wir in Deutschland mehr Inklusion brauchen“, sagt Lea vom Werkstattrat. Im Speisesaal der Lebenswerkgemeinschaft wird geklatscht – neben den Ausschussmitgliedern sind Beschäftigte, Angehörige und Interessierte zur Sitzung gekommen.

Barrierefreie Busse und Bahnen

Egal ob beim Blutspenden, Impfen oder an der SB-Supermarktkasse, überall stoßen Menschen mit Behinderung, so erklärt es Lea, an ihre Grenzen. Denn wer Blutspenden oder eine Impfung wolle, müsse ein Formular ausfüllen. Und einen Kassencomputer zu bedienen, stellt auch Menschen ohne Beeinträchtigung manches Mal vor alleine nicht zu lösende Herausforderungen. „Wir brauchen mehr Unterstützung“, sagt sie. Sie erfahre das Gegenteil: „Manchmal werden wir auch ausgelacht.“

Sie stehen an diesem Nachmittag zusammen vor den Ausschussmitgliedern: Der Werkstattrat, der von allen Beschäftigten mit Assistenzbedarf gewählt wird, hat sieben Mitglieder, fünf von ihnen sind bei der Sitzung anwesend. Andreas weist die Politikerinnen und Politiker auf ein weiteres Problem hin: die fehlende Barrierefreiheit auf der Straße und im öffentlichen Nahverkehr. „Der 285er und der X10er sind meistens viel zu voll, Menschen mit Rollator oder Rollstuhl haben dann keinen Platz.“ Rund 200 Beschäftigte kommen jeden Tag zur Arbeit in die Werkstätten im Süden Zehlendorfs, etwa 50 Prozent davon alleine mit dem Bus. „Zu den Stoßzeiten zwischen 7 und 8.30 Uhr und 14.30 und 15.30 Uhr sollen die Busse öfter fahren oder größer sein“, fordert Andreas.

Auch die Ämter müssten barrierefreier werden, findet Sascha, der Vorsitzende des Werkstattrats. Er ist in Sakko und Krawatte gewandet – und bevor er über Formulare, Ämter und leichte Sprache redet, macht er allen Ausschussmitgliedern ein Kompliment: „Danke, dass Sie gute Arbeit machen“, sagt er. Und um dem Lob Nachdruck zu verleihen, bittet er alle im Saal, der Nebenfrau oder dem Nebenmann anerkennend auf die Schulter zu klopfen. Die FDP klopft den Grünen auf die Schulter, die CDU dem Amtsleiter, Stadtrat Urban Aykal (Grüne) der SPD, der Reporter dem Vater eines Beschäftigten, die Werkstatt-Geschäftsführung der CDU. Es wird geklopft, gelacht, geklatscht. Dann zeigt der Werkstattrat den Gästen die Montage- und die Papierwerkstätten und lädt zum Imbiss–es gibt Pizza.

Mit guter Laune zur Arbeit

„Ich habe immer gute Laune, wenn ich zur Arbeit komme“, erzählt Andreas. Die Menschen in der Werkstatt „verstehen die Beeinträchtigung von uns besser als die Menschen außerhalb“, ergänzt Emma. Sascha würde seinen Job freiwillig weder für Geld noch für Ruhm oder anderes aufgeben, sagt er. „Ehrlichere Menschen als hier habe ich draußen noch nicht gesehen. Draußen ist man austauschbar, hier wird man wertgeschätzt für alles, was man tut.“

Das erlebten auch die Ausschussmitglieder. Zwar ist ungewiss, welche Taten der Sitzung folgen–klar ist jedoch: Die fünf vom Werkstattrat haben sie zu etwas ganz Besonderem gemacht.