Herr Jessa, auch in Fürstenwalde, haben vor einer Woche Hunderte Menschen gegen rechts demonstriert. Sie gehörten zu den Mitinitiatoren. Sind Sie zufrieden mit der Resonanz?

Es hat mich positiv überrascht, wie viele Menschen da waren. Statt der angemeldeten 150 Teilnehmer kamen 400 bis 500. Im Gegensatz zu den Behauptungen der AfD sind wir nicht irgendwelche Berliner, die auf Demos „gekarrt“ werden, sondern kommen alle aus der Region oder leben hier. Unser Bündnis besteht, seit sich Parteikader der AfD in einem naheliegenden Dorf regelmäßig in einem Gasthaus treffen. Da haben wir etwas dagegen. Ich hatte trotzdem ein mulmiges Gefühl vor dem Protest. Die Situation hier in der Gegend ist sehr ambivalent, die Prozente der AfD teilweise sehr hoch. Ich kenne einige Menschen, die sonntags im Gottesdienst meiner Predigt über „Nächstenliebe“ lauschen und gleichzeitig ihr Kreuz bei den Rechten machen. Das erschüttert mich.

Bundesweit gingen Hunderttausend Menschen aus dem gleichen Grund auf die Straße. Wie nehmen Sie diese Protestwelle wahr?

Das ist ein großartiges Signal. Das stärkt gerade uns in eher ländlich geprägten Regionen den Rücken. In Berlin vergisst man manchmal, dass wir uns hier in alltäglichen Gesprächen mit Positionen der AfD auseinandersetzen müssen. In der Nachbarschaft, in den Vereinen, in der Kirche. Natürlich sind die hier präsent. Anders als in Berlin können wir uns aber nicht in eine Blase zurückziehen.

Im November vergangenen Jahres wurde der Schaukasten Ihres Pfarrhauses Ziel einer antisemitisch motivierten Attacke. Was ist passiert?

Die Angriffe fielen in eine Woche des Gedenkens rund um den 9. November. Ich habe im Schaukasten unseres Pfarrhauses, in dem ich mit meinem Partner wohne, einen Solidaritätsaufruf der jüdischen Gemeinde Berlins aufgehängt. „Wir schützen jüdisches Leben“, stand auf dem Plakat. In der Nacht hörten wir dann einen Knall, am nächsten Tag stellte ich fest, dass der Schaukasten zerstört war, der Aushang gestohlen. In einem neu angebrachten Plakat habe ich mich mit einem Statement zu der Attacke positioniert. „Wir stehen weiterhin an der Seite unserer jüdischen Glaubensbrüder und -schwestern und sind erschüttert über die Gewalt“, stand da. Einen Abend später flogen Steine gegen das Pfarrhaus.

Waren Sie zu dem Zeitpunkt zu Hause?

Ja, es gab einen ordentlichen Knall, den wir zunächst nicht zuordnen konnten. Kleine Pflastersteine flogen gegen das Fenster. Zum Glück hielt die Scheibe. Die Polizei sprach mir gegenüber davon, dass die Steine als „letzte Warnung“ zu verstehen seien.

War das vorhersehbar?

Ich denke nicht. Ich hätte niemals gedacht, dass dieser kleine Aushang im Schaukasten solche Folgen haben würde. Mir war es wichtig, Solidarität mit Juden und Jüdinnen auszudrücken. Gerade auch wegen der Rolle der Kirche zu Zeiten des Nationalsozialismus. Ich wollte ungern, dass der Eindruck entsteht, dass wir wieder schweigen.

Bereits nach der ersten Attacke auf den Schaukasten haben Sie den Vorfall öffentlich gemacht, unter anderem die „taz“ berichtete. Verstehen Sie die Steinwürfe als Reaktion darauf, dass Sie nicht geschwiegen haben?

Das ist nicht auszuschließen. Ich war nicht still. Ziel der Attacke war das Gegenteil, doch ich habe die Öffentlichkeit gesucht.

Gleichzeitig erfahren Sie eine Welle der Solidarität, Brandenburgs Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke (SPD) kommt in Ihrem Fürstenwalder Pfarrhaus sogar auf einen Kaffee vorbei.

Das war neu für mich. Ich hatte oft den Eindruck, Solidarität ist ein reines Lippenbekenntnis. Doch das ist nicht so. Das macht was mit einem. Der viele Zuspruch hat mir viel Kraft gespendet. Und ich habe gemerkt, dass ich in der Vergangenheit selbst viel zu wenig Solidarität gezeigt habe. Beispielsweise muslimischen oder jüdischen Freunden gegenüber, wenn die aus verschiedenen Gründen in der Schusslinie standen. Solidarität zeigen ist etwas Heilsames, das tut gut. Aber der Schaukasten ist seit November leer. Ich weiß nicht so richtig, was ich aushängen soll, wenn es nicht mal öffentlich möglich ist, sich mit jüdischen Menschen zu solidarisieren.