Möglich, dass es das höchste Bücherregal im Bezirk Lichtenberg ist, das sich da im K. Verlag etwa fünf Meter an der Wand emporstreckt. Sortiert sind die Bücher nach Themen, Epoche und Autor*innenschaft, erzählt Verlegerin Anna-Sophie Springer, den Blick nach oben gerichtet. 2011 hat sie den kleinen Verlag in ihrer Neuköllner Altbauwohnung gegründet. Seit 2017 arbeitet sie nun schon zusammen mit Etienne Turpin im sogenannten Riegel von Architekt Arno Brandlhuber in der Atelierhochburg von Kunstsammler Axel Haubrok in der Herzbergstraße 40-43, der die ehemalige Fahrbereitschaft der SED in einen Ort für Kunst und Handwerk verwandelt hat. K. gehört zu den Preisträgern des Deutschen Verlagspreises 2020.

Springer holt die Leiter und zieht ein dickes, rotes Buch aus dem Regal hervor: „Über Versöhnung“. Es sind Gedanken über den Austausch zwischen der jüdischen Philosophin Hannah Arendt und dem Philosophen Martin Heidegger, die sich zwischen 1925 und 1975 (Liebes-)Briefe geschrieben haben. In dem Buch gibt die Herausgeberin Dora García Anhaltspunkte, wie man mit dem kontroversen Erbe des antisemitischen Nazi-Sympathisanten Heidegger umgehen könnte, der noch heute einer der einflussreichsten Philosophen ist.

Während Springer das Buch präsentiert, hüpft sie auf dem Verlags-Trampolin. „Das hilft oftmals beim Denken“, sagt sie und lacht. „Besser als ein Espresso.“ Garcías Buch „Über Versöhnung“ ist 2018 als sogenanntes Wendebuch im K. Verlag erschienen – das hat nichts mit der DDR und dem Mauerfall zu tun, sondern damit, dass es auf Deutsch oder auf Englisch gelesen werden kann, einfach durchs Umdrehen. In der Mitte befindet sich eine Auswahl von Faksimile-Reproduktionen der handschriftlichen Briefe.

Auch dadurch ist es auf der Liste der „25 schönsten deutschen Bücher 2019“ der Stiftung Buchkunst gelandet. „Beide Sprachen bauen sich von außen auf und bilden im roten Herzstück der Originaldokumente ihre Schnittmenge“, schreibt die Stiftung. Die philosophische Auseinandersetzung mit dem Briefwechsel liest sich auf grausilbernem Naturpapier. Da geht es ums Äußere. Inhaltlich knüpften die Texte an die aktuellen politischen Verwerfungen an – und die Aktualität ende nie, wenn man an den Sturm des Kapitols durch Trumps Mob denkt.

Arendts Umgang mit Heideggers Meinungen biete eine gute Grundlage für die Diskurse so mancher Auseinandersetzungen unserer Zeit, sagt Springer. Während der Arbeit an dem Buch wurde Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt und die AfD zog in den Bundestag ein. „Was sollen wir in diesen Zeiten einer neuen faschistischen Bedrohung von Arendts nachsichtigem Umgang mit Heidegger halten?“, schreiben Springer und Turpin in der Einleitung.

Viele schöne Bücher sind im K. Verlag erschienen. Nicht nur äußerlich. Jedes Projekt lotet auf eigene Weise das Konzept vom Buch als Ausstellungsformat aus. Der Buchraum wird so zu einem Ort interkultureller Begegnungen im Kontext von Kunst, Wissenschaft, Design und Politik. Themen bisheriger Projekte von K. sind Naturkultur, Dekolonisierung und Ethnographie, Geopolitik und Zeitgeschichte, aber auch Dramaturgie, Literatur und (nicht zuletzt) Feminismus.

Das Buch sei als Medium mitnichten tot, sagen Springer und Turpin. In diesem Jahr starten sie die Reihe „Processing Process“. Als Nächstes folgen im Februar aber erstmal die letzten beiden Bände ihrer Reihe „intercalations“, die sie seit 2015 im Rahmen des „Anthropozän-Projekts“ mit dem Haus der Kulturen herausgeben. Als „Ausstellung im Taschenbuchformat“ konzipiert, verbinden auch die neuen Titel wieder Natur- und Kulturgeschichte mit künstlerischen Positionen aus aller Welt.

K.s verlegerischer Schwerpunkt auf dem Buch als Ausstellungsformat ist zum Teil von der Konzeptkunst der 1970er Jahre und der damit verbundenen Dematerialisierung des Kunstobjekts inspiriert. „Wir folgen damit einer Tradition publizistisch-künstlerischen Experimentierens, motiviert von dem Wunsch nach mehr Unabhängigkeit vom Kunstmarkt, pluralistischen und pluralisierenden Narrativen sowie alternativen Zirkulationsmechanismen“, sagt Springer. Doch die Pandemie geht auch nicht am K. Verlag spurlos vorüber. „Alternative Strategien und Formate sind daher wichtiger denn je“, schrieb Springer im Dezemberr in einem Brief an Berliner Kulturschaffende und bat um mehr Zusammenarbeit.