Berlin - Alexander Lukaschenko ist besorgt. Dem belarussischen Machthaber missfällt die seiner Ansicht nach aggressive Politik der Nachbarländer Litauen und Polen insbesondere in Bezug auf die russische Ostseeexklave Kaliningrad. Er beklagt er die verstärkte Nato-Präsenz nahe der Grenze seines Landes, in den Flugzeugen vermutet der 67-Jährige zudem Atomwaffen.

All dies erfordere eine „symmetrische Antwort“. So formulierte es Lukaschenko am vergangenen Wochenende, als er seinen engsten politischen Verbündeten Wladimir Putin in dessen Heimatstadt St. Petersburg besuchte. Der russische Präsident versprach Lukaschenko sogleich ein stattliches Rüstungspaket.

So werde Belarus „in den kommenden Monaten“ das Raketensystem Iskander-M mit einer Reichweite von 500 Kilometern erhalten. Dieses könne „sowohl ballistische Raketen als auch Marschflugkörper aufnehmen – sowohl in konventioneller als auch in nuklearer Ausführung“, erklärte Putin. Darüber hinaus wolle Russland belarussische Kampfflugzeuge vom Typ Suchoi Su-25 nachrüsten, sodass auch diese atomwaffenfähig sind.

Dies bedeutet eine erhebliche militärische Aufwertung von Belarus. Fachleute bezeichnen Lukaschenkos Armee als Sanierungsfall. „Das belarussische Militär ist eine sehr schwache Truppe: Unterausgestattet, untertrainiert, unterfinanziert“, sagt András Rácz von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Wissenschaftlichen Schätzungen zufolge verfügt Belarus über eine Truppenstärke von etwas mehr als 40 000 Einsatzkräften vorbehaltlich etwaiger Reserve.

Kann die Ukraine also Lukaschenkos Armee getrost außer Acht lassen? Zumindest mangelt es ihr Rácz zufolge zuvorderst an Kampferfahrung. „Sie war noch nie in Krisen involviert und hat seit dem Sowjetkrieg nie wirklich gekämpft“, erklärt der Belarus-Experte. Zwar führt die belarussische Armee regelmäßig Manöver mit Russland durch. „Doch sie könnte ohne russisches Truppenkommando nicht operieren“, so Rácz. „Und Lukaschenko will das auch nicht.“

Das gilt auch für den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine – obgleich sich hier die Absurdität von Lukaschenkos Agenda offenbart. Offiziell bezeichnet sich Belarus mit Blick auf den Ukraine-Krieg als neutral. Anfang Mai behauptete Lukaschenko gar, er setze sich höchstselbst für einen Waffenstillstand ein. „Wir akzeptieren kategorisch keinen Krieg. Wir haben alles getan und tun alles, damit es keinen Krieg gibt. Dank mir haben Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland begonnen“, behauptete er in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AP.

Der Kriegsverlauf hat von Beginn an verdeutlicht, wie unberechenbar das nördliche Nachbarland für die Ukraine ist. Gleich zu Beginn der Invasion bewegten sich russische Truppen von Belarus kommend über die insgesamt 1084 Kilometer lange Grenze, wie Video-, Foto- und Satellitenmaterial belegt. Für besonders großes Aufsehen sorgte etwa das Eindringen in die Sperrzone von Tschernobyl. Belarus ist seither Aufmarschgebiet und Rückzugsraum des russischen Militärs.

„Von Beginn an erlaubte Belarus den Russen die Nutzung seiner Militärstützpunkte, militärischen Infrastruktur sowie seines Bodens und Luftraums“, erklärt DGAP-Experte Rácz. Auch dieser Tage häufen sich oft allerdings nicht unabhängig überprüfte Berichte, wonach Russland verstärkt von belarussischem Boden aus operiert.

Die in St. Petersburg verkündeten Aufrüstungspläne kommen nicht überraschend. Lukaschenko hatte bereits im Mai den Kauf von Iskander- und S-400- Luftabwehr-Systemen angekündigt. Als neu gilt indes der klare Fokus auf nukleare Abschreckung. Noch bis kurz vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar hatte sich Belarus als neutral und atomwaffenfrei deklariert, dann gab es eine Verfassungsänderung.Christoph Rieke