Antisemitismus hat viele Gesichter. Bei der Max-Weber-Stiftung, die geisteswissenschaftliche Forschungsinstitute in zahlreichen Ländern betreibt, sollte man sich diesen Umstand noch einmal explizit klar machen.

Die bundeseigene Institution hat den Historiker Jens Hanssen mit der Leitung ihres Orient-Instituts Beirut (OIB) beauftragt, die dieser nun zum 1. Juli übernahm – trotz Protesten. Denn Hanssen hat wiederholt gefordert, israelische Wissenschaftler:innen zu boykottieren, wie die „Jüdische Allgemeine“ und die „Welt“ berichtet haben. Im Einklang mit Zielen der israelfeindlichen Kampagne „Boycott, Divestment and Sanctions (BDS) plädierte Hanssen 2014 in einem offenen Brief dafür, nicht mehr mit israelischen Forschungseinrichtungen zusammenzuarbeiten. Bis heute ist er Mitglied im Vorstand der Middle East Studies Association (MESA), die sich zu den Zielen des BDS bekennt, Israel auf allen Ebenen zu isolieren. Im radikal-zweigeteilten Weltbild der Kampagne gilt Israel gemeinhin als Paria-Staat, dem wiederholt das Existenzrecht abgesprochen wurde. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hatte die Berufung Hanssens kritisiert und die MWS aufgefordert, Stellung zu beziehen.

Die Art, in der die Stiftung sich zu rechtfertigen sucht – namentlich Präsidentin Ute Frevert und Jens Hanssen selbst – zeigt dabei ein weit verbreitetes Missverständnis auf, nämlich dass Judenfeindschaft relativ sei. Doch Antisemitismus bleibt Antisemitismus, ganz gleich, in welchem Kontext er sich artikuliert. Er ist Tatsache, keine Befindlichkeit. Auch dämonisierende, delegitimierende und mit doppelten Standards verfahrende „Kritik“ an Israels Dasein ist uralter Hass in neuem, scheinbar ehrbaren Gewand.

Falsche Rechtfertigung

Zwar distanziert sich die MWS (und Hanssen nun selbst) löblicherweise „von Aufrufen und Forderungen, israelische Wissenschaftler:innen und deren Einrichtungen von der Zusammenarbeit auszuschließen“. Gleichzeitig aber verteidigt sie den Historiker mit einer ziemlich problematischen Begründung. Seinen wiederholten Aufruf zum Boykott gegenüber israelischen wissenschaftlichen Institutionen müsse man vor dem Hintergrund betrachten, dass Hanssen bisher im Ausland gelehrt habe, wo besagte Kritik „sehr viel vernehmlicher als in Deutschland“ und „der akademische Boykott eine gängige (wenngleich nicht von allen akzeptierte) Taktik in der öffentlichen Streitkultur“ sei.

In der deutschen Wissenschaftskultur hingegen habe der Israel-Boykott aus guten Gründen keinen Platz. Dies ist einerseits richtig: Wenn die Nachfahren der Täter die der Opfer boykottieren – was an die Losung „Deutsche kauft nicht bei Juden“ erinnert – hat das in der Tat ein besonderes Geschmäckle. Gleichzeitig ist es insofern falsch, als eine verteufelnde Totalkritik an Israel (und nicht die an konkreter Politik!) immer und überall judenfeindlich ist, auch wenn das die „Kritiker“ mitunter nicht verstehen. Ähnlich wie die MWS hatte das Künstler- und Aktivistinnen-Kollektiv Taring Padi nach der Kritik an seinem Kunstwerk „People’s Justice“ im Rahmen der letzten Documenta reagiert. Auf dem Bild war unter anderem ein schweinsgesichtiger Soldat mit Davidstern und dem Schriftzug „Mossad“ auf dem Helm dargestellt, ferner ein vampirisch anmutender Mann mit Schläfenlocken und SS-Runen am Hut. Man habe erkannt, dass die Bildsprache des Werkes im historischen Kontext Deutschlands eine besondere Bedeutung erhalte, und bedauere, Menschen beleidigt zu haben – so lautete das Pseudopardon des Kollektivs. Was die Erklärung insinuierte: Die Deutschen sind wegen der Geschichte hysterisch – was sie als antisemitisch empfinden, nennen wir antikolonialen Aktivismus. Doch Antisemitismus wird nicht besser dadurch, dass er sich progressiv angepinselt hat.

Übliche Stereotype

Mit Blick auf die Documenta hat sich unter Israelhassern dabei längst eine Lesart entwickelt, die ihrerseits mit klassisch antisemitischen Stereotypen aufwartet. So unken diese abermals, es gebe eine Lobby, die jede „Kritik“ an Israel blockiere, was das Vorurteil jüdischer Allmacht bedient. Auch die erste Veranstaltung, die am OIB unter Hanssens Ägide durchgeführt wurde, schlug in diese Kerbe. In der Ankündigung der Veranstaltung steht: „Eine ‚Säuberung‘ des Kunst-Sektors im Namen des Anti-Antisemitismus ist im Gange, die Bedenken über die Freiheit der Meinungsäußerung aufwirft“. Die Kritik an der „Kritik“ wird als „Säuberung“ verunglimpft. Hier scheint „die Grenze zwischen wissenschaftlicher Arbeit und politischen Meinungsäußerungen“, die die MWS zu wahren erklärt, überschritten. Antisemitismus ist wie Rassismus indes nicht mal eine Meinung, sondern eben bloß Hass.