Berlin verfehlt seine Ziele auf dem grundlegenden Feld der Bildungspolitik: Mangels Kitaausbau bleiben Tausende Kinder – zum Teil bis zur Einschulung – zu Hause, die dringend auf die Förderung in einer Kindertagesstätte angewiesen wären. Das aktuelle Defizit beträgt, vorsichtig geschätzt, 5000 Plätze. Diesen Schluss legen aktuelle Daten der Senatsverwaltung für Jugend nahe.

Demnach hatten bis April 2021 rund 38 400 Eltern einen Betreuungsplatz beantragt und ihn auch bewilligt bekommen, aber nur 29 000 Kitaverträge waren auch zustande gekommen – eine Differenz von 9400. Auch mit der Corona-Zurückhaltung bei der Kitaanmeldung sei diese Differenz nicht erklärbar, meint Martin Hoyer vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. Vielmehr spreche für eine große Versorgungslücke von Tausenden Plätzen auch, dass der Senat seine eigene Planung, 180 000 Plätze bis Ende 2020 zu schaffen – um 5000 Plätze unterschritten habe, wie aus der aktuellen Kitastatistik hervorgehe, so Hoyer.

Dazu passt, dass in allen Jahrgängen die Betreuungsquote gesunken ist – im Schnitt um knapp drei Prozent, was schon Anfang 2020 mehr als 7600 Plätzen entsprach. Seither ist der Bedarf noch weiter gestiegen. Berliner Kitafachleute halten eine Größenordnung von 5 000 fehlenden Plätzen daher noch für „niedrig angesetzt“, wie etwa Stefan Spieker, Geschäftsführer des großen Kitaträgers Fröbel, meint. Um etwa bei Familien mit Migrationshintergrund in eine aktive Werbung gehen zu können, brauche man „wahrscheinlich eher 20 000 Plätze, da sie durch die Mangelsituation abgeschreckt werden“.

Am größten ist die Differenz in den sozialen Brennpunkten, wo die Kinder besonders stark auf die Förderung angewiesen wären. In Spandau kamen sogar 30 Prozent der Berechtigten nicht in einer Kita unter. Hier liegt die Betreuungsquote der Drei- bis Sechsjährigen nur noch bei 85 Prozent – der landesweite Tiefststand. Aber auch in den anderen Bezirken hat sich die Lage verschlechtert: Während die Betreuungsquote dieser Altersgruppe jahrelang bei knapp 95 Prozent lag und auf 100 Prozent gesteigert werden sollte, liegt sie jetzt konstant bei rund 92 Prozent. Das bedeutet, dass rund 10 000 Kinder weder eine Kita noch eine Tagesmutter besuchen. Zwar gibt es in einigen Berliner Regionen durchaus freie Plätze. Aber dabei handelt es sich oftmals um Kitas, die zu weit entfernt liegen von den Familien, die Bedarf haben.

Der Mangel hat dramatische Konsequenzen: Selbst die Kinder, die mangels Deutschkenntnissen zum Besuch einer Einrichtung gesetzlich gezwungen wären, bleiben der Förderung fern, weil die Bezirke ihnen keine freien Kitaplätze geben können. Allein dieser Missstand betrifft 1000 bis 2000 Kinder. Wobei auch diese Zahl nur geschätzt ist, denn Bezirke und Bildungsverwaltung verfolgen das Problem nicht konsequent, weil sie den Familien ohnehin keine Kitaplätze anbieten könnten.

Die Jugendverwaltung begründet den Platzmangel mit der um ein Vierteljahr verschobenen Schulpflicht und vielen Zurückstellungen: Dadurch blieben mehr Kinder in der Kita. Zudem verweist sie auf den Geburtenanstieg und Zuzüge, auf die die Kitaplanung nicht vorbereitet sein konnte und darauf, dass auch bundesweit Betreuungsquoten gesunken seien. Eltern und Kitaträger bestreiten dies nicht, sehen aber dennoch eine Mitschuld des Senats für den Kitaplatzmangel, der nicht adäquat reagiert habe. Dabei verweisen insbesondere die Kitaträger auf fehlende Fördergelder.

Tatsächlich ist es so, dass die Planung von rund 70 Kitas 2020 zum Stillstand kam, weil die vom Senat bereitgestellten Fördermittel nicht reichten und – anders als in den Vorjahren – auch nicht mehr aufgestockt wurden. Die Träger konnten zwar neue Anträge auf Bundesmittel stellen. Das aber kostete weitere Monate – und noch immer sind neun Kitas nicht bewilligt, wie die Jugendverwaltung einräumt. Das aber bedeutet, dass der Kitaplatzausbau noch nicht einmal das Niveau der Vorjahre erreichen kann, wie Stefan Spieker mahnt. Da ein Kitaprojekt zwei bis drei Jahre von der ersten Planung bis zur Umsetzung dauert, werde Berlin die durch den Förderstopp vom Sommer 2020 entstandene Lücke „ab Mitte/Ende 2022 erst richtig zu spüren bekommen“. Spieker verweist zudem darauf, dass im Haushalt für 2022/23 bisher nur 56 Millionen Euro für den Ausbau vorgesehen sind – das würde nicht einmal für die Kitaprojekte reichen, die 2020 liegen geblieben waren.

Das neu gegründete Bündnis Berliner Kitaträger „Kitastimme.Berlin“ sucht deshalb das Gespräch mit den Parteien, um sie im Wahlkampf für die Finanzierungslücke zu sensibilisieren. Am Montag wurde SPD-Fraktionschef Raed Saleh damit zitiert, dass es „nicht am Geld scheitern soll, wenn es um die Notwendigkeit geht, mehr Kitaplätze zu schaffen“. CDU-Chef Kai Wegner hatte sich Anfang Juli sogar darauf festgelegt, dass Berlin bis 2026 „800 Millionen Euro für den Bau der fehlenden 26 000 Kitaplätze“ brauchen werde – eine einleuchtende Summe angesichts der mehr als 53 000 Euro, die der Senat zuletzt pro Platz für seine Holzbaukitas ausgegeben hatte.

Zugeschaut, mitgebaut. Auf einer „Kinderbaustelle“ an der Leipziger Straße konnten die Kleinsten vor etlichen Jahren das Bauhandwerk praktisch kennen lernen. Die fehlenden Kitaplätze werden so allerdings nicht entstehen. Foto: Kitty Kleist-Heinrich